Die peruanische Psychologin und Frauenrechtlerin Mariel Távara hat in Deutschland auf Einladung der Infostelle über die peruanische Frauen- und Jugendbewegung berichtet.
Infostelle Peru: Am 13. August 2016 brachte die peruanische Frauenbewegung 1 Million Menschen auf die Strasse, um gegen Feminizid und Diskriminierung zu protestieren. Was ist von dieser Bewegung heute geblieben?
Mariel Távara: Die Organisation der Demonstration „Ni una menos” – eine Abkürzung des Slogans „Ni una mujer menos, ni una muerte más” – „Keine Frau weniger, kein Tod mehr”, ging sehr pragmatisch vonstatten. Rund 20 Frauen organisierten den Marsch, weil einfach zu viel vorgefallen war: wenige Wochen vorher waren Mörder und Misshandler von Frauen von der Justiz freigesprochen worden, obwohl es eindeutige Video-Beweise gab. Dazu kam eine Aktion in Facebook, die sehr viele Kreise zog: unzählige Frauen outeten sich, wie sie Opfer von sexueller Belästigung und sogar Vergewaltigung geworden sind. Der Marsch am 13. August war ein solcher Erfolg, weil einfach zuviel schon geschehen ist und wir Frauen zuviel ertragen haben. Und auch weil 30 Jahre Feminismus und Frauenrechtsarbeit in Peru in diesen Marsch eingeflossen sind.
Allerdings hat die Grösse des Marsches unsere Kapazitäten in der peruanischen Frauenbewegung überfordert. Wir konnten das Vermächtnis dieses Marsches nicht richtig auffangen. Heute gibt es zwar lokal verankerte neue Frauen- und LGBT-Gruppen, die sich für lokale Verbesserungen einsetzen. Aber es gibt keine nationale „Ni una menos”-Bewegung.
InfoPeru: Du bist 31 Jahre alt, bist also in der Zeit nach dem Bürgerkrieg aufgewachsen in einer Zeit, in der es in Peru auch wirtschaftlich aufwärts ging. Wie ist Dein Blick auf dieses Peru?
Mariel Távara: Klar, Peru ist wirtschaftlich gewachsen in diesen Jahren, und wir haben nun auch in vielen ehemaligen Armenvierteln grosse Einkaufszentren. Aber das ist ein sehr oberflächliches Wachstum. Vielen Leute geht es nicht wirklich besser, das sehe ich vor allem, wenn ich im peruanischen Hinterland unterwegs bin. Die Ungleichheit ist immer noch gross. Andererseits bin ich mit diesem neoliberalen Mantra gross geworden, dass alle jungen Leute Unternehmer werden müssen. Oder Koch. Aber es liegt nicht allen, ein Unternehmen oder ein Geschäft aufzubauen. Und oft dient diese Idealisierung des Unternehmertums nur dazu, die informellen Arbeitsbedingungen zu verschleiern, die in Peru gang und gäbe sind, wie zuletzt beim Brand in Las Malvinas wieder deutlich wurde. (Anm. der Red.: siehe auch https://www.infostelle-peru.de/politik-und-demokratie/jugendliche-arbeiter-in-grossbrand-in-lima-umgekommen/)
InfoPeru: Du warst in Deutschland in mehreren Städten unterwegs. Was ist Dein Resumee dieser Vortragsreise?
Mariel Távara: Ich bin der Infostelle sehr dankbar für diese Einladung, die Reise half mir, meine Arbeit und meinen Aktivismus zu reflektieren. Natürlich ist auch Deutschland kein perfektes Land, aber es hat mir gezeigt, was Frauen gesellschaftlich erreichen können. Das ermuntert mich, dass wir peruanische Frauen und LGBT-Bewegung uns nicht mit zu kleinen Zielen zufrieden geben.
Das Interview führte Hildegard Willer in Lima
Ein ausführliches Interview mit Mariel Távara in dem sie auch über die LGBT-Bewegung und die Anti-Gender-Kampagne in Peru berichtet, ist in der ila erschienen und kann hier heruntergeladen werden.