© Hildegard Willer

Von der Coca in Peru zur Droge für die Welt

Über die Coca gibt es bei uns viele Missverständnisse: Coca und Kokain, das ist für viele praktisch dasselbe. Coca als Droge – dieses falsche Verständnis hat für die Coca-Bauern in Peru fatale Folgen.

Die Coca-Pflanze ist keine Droge. Seit 4000 Jahren spielt sie in der peruanischen Kultur eine kulturelle, soziale und medizinische Rolle, vor allem im Andenhochland, aber auch im Amazonasgebiet. Der Konsum von 100 Gramm Coca (die Blätter werden zu einer Kugel geformt und mit einem Stäbchen Kalk oder Asche in den Mund geschoben) deckt den Tagesbedarf an Eisen, Kalzium und den Vitaminen A, B, C und E. Die „Rauschwirkung“ der Coca ist ähnlich wie die von starkem Kaffee, nur viel magenschonender. Kokain kann der menschliche Organismus aus dem Coca-Blatt nicht ziehen, dazu ist viel mehr nötig: Für die Herstellung einer Tonne Kokain braucht man 9,5 Millionen Liter Flugbenzin, fünf Millionen Liter Schwefelsäure, 2,7 Tonnen ungelösten Kalk, 2700 Kubikmeter Zellulose und 540 Tonnen Natron. Daraus entsteht die Coca-Paste. Um diese zu Kokain weiterzuverarbeiten, sind etwa eine Million Liter Azeton oder Toluol nötig. Erst der Einsatz riesiger Mengen an Chemikalien macht also die Coca zum Kokain. Und das ist nur ein Teil des Problems.

1961 hat die UNO die Coca-Pflanze zur Droge erklärt. Seither wird der Anbau von Coca massiv bekämpft. In Peru ist der Anbau für den Eigenkonsum und den lokalen Markt erlaubt. Kommerzialisiert werden dürfen die Coca-Blätter aber nur durch das staatliche Coca-Unternehmen ENACO. Daneben ist das Unternehmen Coca Cola der einzige legale Händler von Coca.

Obwohl aus der Coca-Pflanze viele Produkte wie Bonbons, Tees, Bier, Medizin hergestellt und vermarktet werden könnten, bleibt vielen Coca-Bauern aufgrund der internationalen „Ächtung“ der Pflanze nur der illegale Verkauf an Drogenhändler, um einigermaßen auskömmlich leben zu können. Das große Geschäft mit der Droge machen aber andere: In Peru bleiben nur fünf Prozent des Gewinns aus dem Kokain-Geschäft, in ganz Lateinamerika etwa 18 Prozent. Der Rest fließt in die USA und andere westliche Länder.

Die Anbaugebiete und ihre Bewohner*innen bleiben mit der Vergiftung durch die Chemikalien, die überwiegend aus den USA und China stammen, im Boden versickern und Flora und Fauna zerstören, zurück.

DEVIDA heißt die peruanische Behörde, die den Coca-Anbau bekämpft und dafür erhebliche Summen an finanzieller Unterstützung auch vom deutschen Staat erhält.  Sie will die Coca-Bauern bei der Umstellung auf alternative Produkte wie Ananas, Kakao und Viehwirtschaft unterstützen – mit sehr mäßigem Erfolg. Würde man mit den riesigen Summen, die in die Arbeit von DEVIDA gesteckt werden, die Coca-Blätter direkt den Coca-Bauern abkaufen, wäre die Wirkung größer, sagt Luis Guerrero, Ex-Parlamentarier und Präsident der Kommission für Drogenpolitik.

Anstatt die Coca zu kriminalisieren, sollten ihre industrielle Verarbeitung und die Diversifizierung der Produkte gefördert werden, um den Coca-Bauern eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten. Solange der illegale Handel aufgrund der Nachfrage aus dem Ausland weiter besteht, wird kaum ein Coca-Bauer auf Alternativen umsteigen. „30 Jahre Repressionspolitik haben nichts gebracht“, sagt Luis Guerrero. Die Anbauflächen sind nicht weniger geworden, sondern haben sich im Gegenteil immer weiter ausgeweitet. Deshalb sei es höchste Zeit, neue Strategien zu fahren: Beratung der Bauern, Industrialisierung, Diversifizierung der Produkte. Eine entsprechende Gesetzesinitiative im peruanischen Kongress vor einigen Jahren fand keine Mehrheit.

Es muss sich auf internationaler Ebene etwas ändern, so die Hoffnung von Luis Guerrero. „Der Schlüssel ist die Information.“ Nur wenn UNO und WHO die Coca nicht weiterhin als Droge definieren, kann es einen Ausweg aus Kriminalisierung, Repression, Umweltverseuchung durch Chemikalien und Armut geben.

Dazu könnten wir in Deutschland einiges beitragen: Durch Informations- und Aufklärungsarbeit, damit der Unterschied zwischen Coca und Kokain hier endlich zum Allgemeinwissen wird, und durch entsprechende Lobbyarbeit. So kann sich auch politisch etwas ändern.

Die Infostelle Peru will sich zukünftig stärker mit diesem Thema befassen und zur Information und Aufklärung in Deutschland beitragen. Den Auftakt hierfür machte eine Online-Veranstaltung mit Luis Guerrero. Als nächsten Schritt werden wir eine Arbeitsgruppe gründen, die Informationen sammelt und aufarbeitet und Strategien überlegt, um die Problematik mehr in die Öffentlichkeit und ins Bewusstsein zu bringen. Das erste Treffen der Gruppe findet am 21. September online statt. Wer an einer Mitarbeit interessiert ist, kann sich gerne unter info@infostelle-peru melden.


Annette Brox