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Schlecht ernährt im Schlaraffenland

Peru ist ein Paradies der  Biodiversität. Dennoch sind viele Kinder unterernährt oder fettleibig. Wie passt das zusammen?

Dank seiner klimatischen und geografischen Bedingungen ist Peru eines der Länder mit der größten biologischen Vielfalt auf unserem Planeten. Peru besitzt 11 natürliche Öko-Regionen, 84 der 117 anerkannten Lebenszonen der Welt und hat mit rund 25.000 Arten eine enorme Artenvielfalt der Flora, dies macht 10% der Weltgesamtmenge aus.

Daraus lässt sich schließen, das das Essen in Peru eines der gesündesten ist. Frische Zutaten stehen für die sofortige Zubereitung zur Verfügung, Obst muss nicht ungereift aus anderen Ländern importiert werden, wie im Schlaraffenland könnten wir direkt vom Baum essen.

Die peruanische Speisekammer ist gefüllt mit Superfoods

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Viele davon, dazu gehört auch die Kartoffel, hatte die Welt schon lange zuvor erobert, andere Superfoods werden gerade erst wieder oder neu entdeckt: Getreide wie Quinoa oder Amarant (Kiwicha), Cañihua, ein weiteres Korn aus den Anden mit einem noch höheren Nährwert; dazu kommen bekannte und weniger bekannte Früchte wie die Physalis peruviana, die Vitamin-C-Bombe Camu Camu, Lucuma, Maca, Yacón, Paranuesse (“Castañas”), Johannisbrot (“Algarrobos”), Sacha Inchi, Cusco-Mais, lila Mais, Mangos, Trauben, Mandarinen, Blaubeeren, Spargel, Brokkoli, Avocados, Granatäpfel, Kakao und Schokolade

Warum leiden dennoch immer noch so viele peruanische Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung oder Blutarmut  (Eisenmangelanämie)?

In Gebieten mit der größten Agro-Biodiversität Perus finden sich die höchsten Raten von Anämie und Unterernährung bei Kindern.

Die Lebensmittel, die die peruanischen Städte ernähren, kommen aus dem Hochland von Cusco, aus Huánuco und San Damián in Lima. Kleinbauern schaffen es, mindestens 600 Kartoffelarten und Dutzende von Maissorten zu erhalten.  Aber weil ihre Eltern die frischen und gesunden Lebensmittel aus eigenem Anbau an städtische Märkte verkaufen müssen, um überleben zu können, müssen ihre Kinder oft vergleichsweise minderwertige Lebensmittel essen.

Aufgrund der großen Entfernungen zwischen den Dörfern und Städten entstehen hohe Transportkosten, die sich viele Bauern nicht leisten können. Zwischenhändler zahlen niedrige Preise, Klimaveränderungen bedingen sowohl Trockenheit als auch starke Regenfälle, die die Ernten gefährden. Ebenfalls bedrohen Schädlinge und Krankheiten die Pflanzenkulturen.

Wenn die Anämie nicht kontrolliert wird, entwickeln die betroffenen Kinder zukünftig keine optimalen kognitiven Fähigkeiten bzw. nicht das Niveau, was sie für den Eintritt in den Arbeitsmarkt benötigen.

In den letzten zehn Jahren hat Peru im Kampf gegen chronische Unterernährung bei Kindern große Fortschritte gemacht, dennoch sind die Zahlen immer noch besorgniserregend. Oft haben die Mütter, die Kinder gebären selbst Eisenmangel und können die Kinder daher nicht stillen.

Schulspeisung mit Qali Warma 2021

Qali Warma ist Quechua (indigene Sprache Südamerikas) und bedeutet “kräftiger Junge” oder “kräftiges Mädchen”.

Das seit 2012 bestehende nationale Qali Warma-Programm hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Kinder in den öffentlichen Bildungseinrichtungen in den ländlichen Gegenden dauerhaft mit guter Nahrung zu versorgen und damit die Essgewohnheiten der Jungen und Mädchen zu verbessern.

UNICEF und das Welternährungsprogramm machen auf die Ernährungskrise aufmerksam, die der Verlust von mehr als 39 Milliarden Schulmahlzeiten in ähnlichen Programmen seit Beginn der Corona-Pandemie weltweit nach sich zieht.

Während der Pandemie hilft Qali Warma in Peru 158.730 besonders stark betroffenen und schutzbedürftigen Menschen in den Metropolen Lima und Callao, indigenen Gemeinschaften und Distrikten in den Provinzen, mit der Abgabe von 476.190 Canastas (Körben) mit Grundnahrungsmitteln.

Bewegungsmangel, Junk-Food, zuckerhaltige Getränke, Armut und mangelnde Bildung machen dick

Grundsätzlich ist die Auswahl an stark verarbeiteten Nahrungsmittel in peruanischen Supermärkten noch relativ gering im Vergleich zu dem riesigen Angebot an Fertigprodukten in Deutschland. Aber Fertigprodukte nehmen auch in Peru in den letzten Jahren immer mehr zu. Die Peruaner essen gerne süß. So enthalten hier viele Lebensmittel noch mehr Zucker als in Deutschland. Ganz nach nordamerikanischem Vorbild besteht Brot fast nur aus Weißmehl. Findet man mal eines, das sich “integral” nennt, da es ein wenig Leinsamen, Kleie o. ä. enthält, steht Zucker relativ weit oben in der Zutatenliste. Sehr viele Lebensmittel sind auch mit Konservierungsstoffen angereichert , die in Deutschland nicht mehr üblich sind, wie z. B. Joghurts, Marmeladen und Säfte. Das mag mitunter daran liegen, dass hier viele Haushalte noch immer ohne Kühlschrank funktionieren müssen.

Bereits heute geben bereits ein Drittel der Peruaner an, an einer Krankheit wie Laktoseintoleranz, hohem Cholesterinspiegel, Bluthochdruck oder Diabetes zu leiden. Der Gang zum Facharzt ist dabei normalerweise nicht an der Tagesordnung.

Die achteckige Lebensmittelkennzeichnung

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In Peru sind neben Zigaretten auch die Etiketten von alkoholischen Getränken schon lange mit Warnhinweisen bedruckt: „Tomar bebidas alcohólicas en exceso es dañino” – „Übermäßiges Trinken von alkoholischen Getränken ist schädlich.”Seit Juni 2019 müssen in Peru nun auch alle industriellen Lebensmittel auf ihren Verpackungen mit Warn-Achtecken gekennzeichnet werden, wenn ihr Gehalt die vom Gesundheitsministerium (Minsa) festgelegten Parameter für Salz, Zucker und gesättigte Fettsäuren überschreitet oder Transfette enthält.

Unter den Oktogonen, die auf einen hohen Fett-, Zucker- oder Salzgehalt (Natrium) hinweisen, steht: „Vermeiden Sie den übermäßigen Verzehr.“ Bei dem Achteck, das sich auf Transfette bezieht, lautet  die Unterschrift sogar: „Vermeiden Sie den Verzehr“. Mit Hilfe dieser Warn-Achtecke soll der Verbraucher fundierte Kaufentscheidungen treffen können.

Bio in Peru?

In Supermärkten und Geschäften in den ländlicheren Gegenden werden kaum organisch produzierte Lebensmittel angeboten. Die Kaufkraft und auch das Bewusstsein hierfür ist noch zu gering. Dem gegenüber stehen die Bevölkerungsschichten, die in den reicheren Teilen Limas leben und die dortigen Biomärkte besuchen. Aber auch dort hat es eine Zeit lang gedauert bis das Bewusstsein zunahm. Am bekanntesten ist die Bioferia in Miraflores, die bereits über 20 Jahre alt ist.

Nicht nur in Lima, auch in den Provinzen Perus sind in den letzten Jahren eine andere Art von Läden wie Pilze aus dem Boden geschossen. Sogenannte “Bio Naturistas” verkaufen Fertigprodukte wie Pulver, Getränke, Kapseln, Shakes, Öle, Säfte und Kosmetik aus den peruanischen Superfoods.

Jetzt zur Coronazeit entstehen auch immer mehr Seiten im Internet, über die man Bio-Produkte beziehen kann.

Lesen Sie hier mehr zum Thema: Bio – ein peruanischer Exportschlager


Susanne Aulbur

Susanne Aulbur wanderte 2006 nach Peru aus, wo sie zusammen mit ihrem Lebensgefaehrten in den Anden eine Firma aufbaute. Die Idee ist, den Menschen auf dem Land Arbeit und eine Lebensperspektive zu geben sowie die Kleinbauern und die Landwirtschaft in der aermsten Region Perus zu foerdern. Aus Freude am Schreiben und dem Wunsch, das Erlebte mit anderen zu teilen und dabei ueber die Probleme ihrer suedamerikanischen Wahlheimat zu sensiblisieren, entstand ihr Blog “Perugeschichten” www.perugeschichten.com