Marca Perú: Die andere Seite der Single Story

Die peruanische Regierung verkauft ihr Land an ausländische Touristen als “das reichste der Welt“. Eine Provokation, ja – aber die Marketingkampagne kann auch eine Chance sein, glaubt Jan Doria.

( Aqui pueden leer la versión en castellano de este artículo  Single Story esp) 

Was wissen Sie über Perú? Die Mehrheit der Leser*innen von InfoPerú kennt dieses weit (von Deutschland) entfernte Land gut. Denn es ist das, was uns vereint und verbindet, trotz aller Distanzen und Differenzen. Man sollte aber nicht vergessen, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung auf diese Frage mit kaum mehr als „Machu Picchu“ antworten würde. Es gibt Leute, die glauben, dass Lima in den Anden liegt, weil die Anden das einzige sind, was sie von Südamerika kennen, und das einzige Mal im Jahr, wenn dieser Kontinent in den deutschen Nachrichten auftaucht, ist, wenn irgendeine Art von Katastrophe eintritt: sei sie natürlicher Art, wie die Waldbrände im Amazonas im vergangenen Jahr (auch wenn nur die wenigsten überhaupt bemerkt haben werden, dass der Amazonasurwald über die Grenzen Brasiliens hinausreicht). Oder menschlicher Art, wie jene Politiker namens Fujimori, García, und wie sie noch alle heißen.

Die nigerianische Intellektuelle Chimamanda Ngozi Adichie nennt diese Ungleichheit des globalen Wissens über die Nationen eine “Single Story” . Die peruanische Regierung wurde sich ihrer schon vor einigen Jahren bewusst und schuf deshalb im Jahre 2011 die „Marke Peru“ sowie Promperú, die Regierungsinstitution, die beauftragt ist, sie zu verkaufen. Die Marke wurde so bekannt, dass der Reisende heute ihr Logo sogar auf der Vorderseite der Ein-Sol-Münzen (wieder)findet, und auf der Rückseite gibt es Abbildungen der Fauna, der Flora und der Architektur des Landes. „Nein, ich kann noch nicht wieder abreisen, mir fehlt noch Machu Picchu…“

Die neueste Variante dieser Marke ist die Kampagne „Peru, das reichste Land der Welt“. Gelauncht im Jahre 2017 auf einer Tourismusmesse in London und vor kurzem gerelauncht in Madrid, begrüßt uns auf ihrer Kampagnenwebsite  ein Werbespot, der – nicht ohne Arroganz – als „Manifest“ bezeichnet wird und verkündet: „Heute, so heißt es, wird Reichtum nicht an Besitz, sondern an unvergesslichen Momenten gemessen. Momente, die man nur in einem Land erleben kann, nämlich in Peru“. Wer’s glaubt, wird selig.

Es fehlt nicht an Stimmen, die das peruanische Nation Branding kritisierten. Der Wissenschaftler Elder Cuevas Calderón nannte es schon im Jahr 2016 ein „Make-Up“: „Es ändert nichts, aber schau, was es bringt!“. Es fällt außerdem auf, dass in den Videos, die das „reichste Land der Welt“ vorstellen, kaum Peruaner*innen selbst auftauchen, am allerwenigsten Indigene – offensichtlich, weil sie nicht reich sind; sie könnten ja das Bild herausfordern, das man da verkaufen will. Und wen interessieren schon Indigene, wenn es auch Tourist*innen gibt?

Auch ist da das berühmte Video „Perú, Nebraska“, mit dem die neue Marke 2011 eingeführt wurde. Eine Gruppe Peruaner*innen, darunter der Koch Gastón Acurio, „erobert“ die Vereinigten Staaten, das Land von McDonald‘s, um ihnen zu verkünden, dass sie ein „Recht auf gutes Essen“ haben – ohne zu erwähnen, dass die eigenen Landsleute daheim nach wie vor auf den Tag warten, an dem die Regierung all jene Rechte gewährleisten mag, die sie versprochen hat.

Was sehr wohl fehlt, ist eine positive Sicht auf die Bemühungen der Regierung. Denn die Absicht war ebenjene: „Die Klischees und Stereotypen in den globalen Medien und in der öffentlichen Meinung, darunter die Armut, die Instabilität, die Naturkatastrophen und all diese schlechten Nachrichten, herauszufordern“. Man wollte „das Nationalbewusstsein stärken“, wie Félix Lossio Chávez, ein weiterer Forscher, notierte. Es galt also, die Single Stories herauszufordern, die über das Land im Umlauf waren, so kann man das in den Worten Adichies zusammenfassen. Dies geschah mit Erfolg: die peruweite Zustimmung zur Landesmarke liegt bei 82 Prozent, wenn man Promperú glaubt .

Und darin liegt nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil, es geht darum, auf das Eigene zu setzen, zu identifizieren, was das spezifisch Peruanische ausmacht, „worauf man als Latina/o stolz sein kann“. Um das zu erreichen, scheint die Regierung sich für die Gastronomie entschieden zu haben. Die Rede ist von einer Politik der „Gastrodiplomatie“, welche „die Präsenz Perus auf internationaler Ebene vergrößern soll“, wie es im Plan zur auswärtigen Kulturpolitik Perus heißt. Und man sollte nicht vergessen, dass Gastón Acurio, als er diese Idee erstmals in einer Rede an der Universidad del Pacífico in Lima  in die öffentliche Debatte einführte, dies tat, um Chancen für sein Land zu schaffen: „Geht nicht raus aus Peru. Hier sind die Chancen, hier ist der Reichtum, hier hat das Leben einen Sinn“, bat er die dort anwesenden Student*innen. Und es ist nicht so, dass er Unrecht hätte, dass Peru unter dem Braindrain leidet, aber auch, dass die Gastronomie Arbeitsplätze für tausende Jugendliche schuf und schafft, vor allem aus sozial schwächeren Schichten. Wie wir aus dem McDonald‘s-Fall in Lima gelernt haben –  eine 18-jährige Arbeiterin einer McDonald‘s-Filiale und ihr Kollege starben an einem Stromschlag – fehlt es jedoch noch an einer nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesem Sektor, und hierin spiegelt sich vielleicht die wahre Tragik des peruanischen Nation Brandings wieder.

Trotzdem: Es ist Zeit, auch von der anderen Seite der Single Story zu reden, denn beide sind unvollständig: die eines Landes, gezeichnet von Katastrophen, und die des „reichsten Landes der Welt“. Ein Land zu verkaufen ist jedoch nicht das Gleiche, wie Cola zu verkaufen: die Cola muss nicht partizipieren an der Erstellung ihrer Marketingkampagnen. Die Bevölkerung eines Landes dagegen schon. Der Kampagne „das reichste Land der Welt“ mangelt es nicht an guten Absichten, aber an demokratischer Legitimation. Schade, dass sie von einer ausländischen Agentur geschaffen wurde, Future Brand aus den USA. Wenn die Marketingexpert*innen dieser globalen Elite den Mut gehabt hätten, sich von ihren luftigen Höhen auf das Niveau der peruanischen Anden herab zu begeben, dann wäre vielleicht eine etwas realistischere Kampagne entstanden. Die Chance jedoch, dies in der Zukunft noch zu tun, die bleibt.

Jan Doria studiert Unternehmenskommunikation in der Hochschule der Medien Stuttgart. Im Wintersemester 2019/20 schrieb er eine Hausarbeit über das peruanische Nation Branding.