Landkonflikte in Lateinamerika

Eine internationale Konferenz in Lima brachte Wissenschaftler und Aktivisten zum Thema “Land” an einen TischDie sozialen Konflikte um Land, die Lateinamerika in den vergangenen Jahrhunderten erlebt hat, haben einen wesentlichen Einfluss gehabt auf die Herausbildung der lateinamerikanischen Gesellschaft und die Entstehung starker sozialer Bewegungen. Land ist nach wie vor ein äußerst begehrtes Gut, insbesondere in Zeiten des weltumspannenden neoliberalen Kapitalismus und einem vorherrschenden Wirtschaftsmodell, das auf der exzessiven Ausbeutung von Rohstoffen beruht.

Am 24. und 25. Juni fand in Lima eine internationale Konferenz zu diesem hochaktuellen Thema statt. Luchas Sociales por la Tierra en América Latina: un análisis histórico, comparativo y global lautete der Titel der Veranstaltung. Organisiert hatte sie die Universität Nacional Mayor San Marcos (Lima, Peru), das bergbaukritische Netzwerk Red Muqui (Lima, Peru) und die Universität Gent (Belgien). Ihnen ging es vor allem darum, den Dialog zwischen Wissenschaftlern, Vertretern sozialer Organisationen und indigenen Gemeinschaften zu vertiefen. Im Mittelpunkt stand der Austausch zu Erfahrungen und Analysen konkreter Fälle zu Landkonflikten in Lateinamerika und die Erarbeitung gemeinsamer Perspektiven und Veränderungsvorschläge.

Drei Themenpunkte strukturierten die Beiträge: Extraktivismus, natürliche Ressourcen und familiäre Landwirtschaft sowie Solidarische Ökonomie. Experten aus Lateinamerika, Europa und Nordamerika wie Alberto Acosta, Ökonom und Politiker aus Ecuador, Sinclair Thomson, Historiker und Professor an der Universität New York, oder Fernando Eguren vom Peruanischen Zentrum für Soziale Studien (CEPES) sprachen auf der Konferenz über historische Hintergründe und Folgen des Aufkaufs von Land in vielen Regionen. Zudem diskutierten sie mögliche Alternativen zum extraktivistischen Entwicklungskonzept, das diese Landkonflikte verursacht. Vertreten waren auch Lourdes Huanca, charismatische Vorsitzende der Organisation FENMUCARINAP, die für mehr Rechte indigener Frauen kämpft, Mílton Sánchez, Präsident der Plattform PIC, einem Zusammenschluss regionaler Widerstandsgruppen gegen das geplante Mega-Bergbauprojekt Conga und Reynaldo Arias Ruiz von der Maya-Bauernkooperative aus Chiapas, Mexiko.

Extraktivismus macht arm

Das auf Raubbau und Rohstoff-Export basierende Wirtschaftsmodell, das derzeit in vielen Ländern Lateinamerikas Konjunktur habe, habe die Armut in vielen Regionen ansteigen lassen, klagte Alberto Acosta, Ex-Minister für Energie und Bergbau aus Ecuador. „Extraktivismus hat wirtschaftliche Krisen vorangetrieben und gleichzeitig Mentalitäten geschaffen, die nur auf Profit ausgerichtet sind“, urteilte er. All dies verstärke schwache Demokratiestrukturen, begünstige Korruption, destrukturiere lokale Gemeinschaften und beschädige zutiefst die Umwelt, prangerte Acosta an. Er plädiert für ein alternatives Konzept zur Entwicklung, Buen Vivir, das ein gutes Leben im Einklang mit der Natur fordert – nicht auf Kosten dieser.

Javier Jahncke, Direktor des bergbaukritischen Netzwerks Red Muqui und einer der Initiatoren der Veranstaltung, konstatierte: „Die Regierung hat das Illegale legalisiert mit den neuen Umweltgesetzen“. Die Gesetze förderten öffentliche und private Investitionen in Land und gingen eindeutig zu Lasten vieler indigener bäuerlicher Gemeinschaften in Bergbauregionen. Er verwies darauf, dass gut 23% in Peru bzw. 48% des Gebiets ländlicher Gemeinden mit Bergbaukonzessionen belegt seien, also mit der Option, die Rohstoffe abzubauen. Dies führe oft zu Konflikten, da die Bergbauprojekte lokale Gemeinden verdrängen und die Umwelt stark verschmutzen. Die Defensoría del Pueblo registrierte im  März 2015 141 sozio-ökologische Konflikte, von denen 94 (66,7%) Bergbauaktivitäten zuzuordnen sind

Luciano Mina vom Brasilianischen Forum für Solidarische Ökonomie vertrat die Stärkung solidarischer Wirtschaftsformen, die weniger auf Profit als auf den Nutzen für die Gemeinschaft setzen. Auch Luis Montoya, Dozent der sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Universität San Marcos verwies auf die Vielzahl von Beispielen für „Anderes Wirtschaften“. Die Landlosen-Bewegungen (MST) in Brasilien, die auch auf der Konferenz vertreten war, nannte er als ein prominentes Beispiel.

Die Teilnehmenden der Konferenz aus 15 verschiedenen Ländern betonten am Ende der Veranstaltung die aktuelle Relevanz der sozialen Widerstände, da sie immer wieder ausgrenzende Machtstrukturen in Frage stellen und sich für die Rechte ländlicher Gemeinschaften und ihren Zugang zu Land einsetzen. Auf einer Online-Plattform können sich soziale Bewegungen und Wissenschaftler künftig weiter zu den Themen austauschen und vernetzen. Eine Publikation, die die Erkenntnisse der Konferenz systematisiert, ist in Arbeit.

Eva Tempelmann