Fabiola Torres (Dritte von links) und das Team von Salud con Lupa © Anne Welsing

„Der politische Journalismus vergisst oft die Menschen“

Durch qualitativen Investigationsjournalismus und soziale Projekte Sensibilisierungsarbeit im Bereich Gesundheit zu leisten, das ist das Ziel der Nachrichtenplattform Salud con Lupa in Lima. Im Interview mit der Infostelle Peru spricht Direktorin Fabiola Torres über aktuelle Projekte, Herausforderungen und die Unterschiede zwischen dem peruanischen und dem deutschen Gesundheitssystem.

Fabiola Torres ist Gründerin und Direktorin der 2019 gegründeten Nachrichtenplattform Salud con Lupa, einer Partnerorganisation der Infostelle Peru, die auch schon zwei Mal als Referentin am Peru-Seminar teilnahm. Die Journalistin und Videografin Anne Welsing hat Fabiola in Lima getroffen und sie zu ihrer Arbeit und der Situation im Gesundheitsbereich befragt. Das Interview ist der Auftakt zu einer neuen Artikelserie, mit der wir unsere Partnerorganisationen in Peru vorstellen wollen.

InfoPeru: Was ist Salud con Lupa und worin besteht eure Arbeit?

Salud con Lupa ist eine digitale Plattform, die Gesundheit als Gemeingut ansieht und verteidigt. Dazu liefern wir den Menschen relevante Informationen, betreiben Investigativjournalismus, realisieren Kommunikationsprojekte in Gemeinden und bieten Schulungsprogramme an. Damit wollen wir die öffentliche Aufmerksamkeit erhöhen, was den Schutz der Gesundheit betrifft, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit.

Für manche Recherchen kooperieren wir mit anderen Medien in Peru oder Lateinamerika. Außerdem schließen wir uns für bestimmte Projekte mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, wie zum Beispiel für das erste partizipative Monitoring von Lebensmitteln in Supermärkten. Ziel war, überhöhte Pestizidwerte in Lebensmitteln in peruanischen Supermärkten aufzudecken. Außerdem arbeiten wir mit dem Klimazentrum der Universität Cayetano Heredia zusammen, um über die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels zu informieren.

In Deutschland haben wir für eine Studie zu globalen gesundheitspolitischen Fragen mit der BUKO-Pharmakampagne zusammengearbeitet. Wir haben mehrere Städte in Deutschland besucht und die Ergebnisse erläutert. Diese ersten Erfahrungen würden wir gerne ausbauen und mehr Organisationen aus Deutschland treffen, die sich für unsere Arbeit interessieren, um über Möglichkeiten für gemeinsame Projekte und Synergieeffekte nachzudenken.

Wie wird eure Arbeit finanziert?

Derzeit finanziert sich Salud con Lupa hauptsächlich durch Projekte der internationalen Zusammenarbeit. Etwa 70 Prozent des Budgets stammen aus der internationalen Zusammenarbeit, und 30 Prozent aus Dienstleistungen wie Arbeitspapiere oder Datenanalysen, die wir für andere Organisationen erarbeiten.

Was sind eure Herausforderungen?

Unabhängigen Journalismus in Peru zu betreiben, ist mit mehreren Herausforderungen verbunden, zum Beispiel ausreichend finanzielle Mittel zu akquirieren, um die Organisation und das Team dauerhaft stabil zu halten und Pläne für einen Investigativjournalismus der Zukunft zu entwickeln. Eine der wichtigsten Herausforderungen für uns ist es, Informationen so klar und einfach zu vermitteln, dass die Menschen sie für ihren Lebensalltag nutzen können und Vertrauen in unsere journalistische Arbeit haben.

Wie wirkt sich die politische Situation auf eure Arbeit aus?

Eines der größten Probleme ist die Schwächung des Regierungssystems und deren Auswirkungen auf die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen. Durch die anhaltende politische Krise wurden beispielsweise eine Reihe von politischen Entscheidungen vernachlässigt, wie Lebensmittelhilfen oder die ordnungsgemäße Versorgung mit Medikamenten. Außerdem wurden die Menschenrechte von Personen verletzt, die an Demonstrationen teilgenommen haben.

Wir sind also permanent an diesen Themen dran, erstens um Alarm schlagen und zweitens um gut recherchieren zu können. Außerdem füllen wir auch eine Informationslücke, indem wir über Hintergründe informieren, über die in den Medien oft nicht berichtet wird.

Und wie verbreitet Ihr eure Informationen?

Die wichtigste Form der Kommunikation und der Verbreitung unserer Nachrichten sind die sozialen Medien. Wir sind aktiv auf Twitter und haben eine recht aktive Community auf Instagram und neu auch auf Tiktok, wo wir ein jüngeres Publikum erreichen wollen. Aber wir müssen unsere Kanäle ausweiten, um mehr Menschen zu erreichen. Dass unsere Berichte von anderen Medien genutzt werden, ist ein wertvoller Indikator, denn es bedeutet, dass wir das Ziel erreicht haben, eine wichtige Informationslücke in der Gesundheitspolitik zu schließen.

Worin seht ihr die Erfolge eurer journalistischen Arbeit?

Ein Beitrag, der eine große Wirkung hatte, war „Verstecktes Gift auf meinem Teller“, der erwähnte Bericht über Pestizide in Lebensmitteln. Sie führte dazu, dass zwei Gesetzesentwürfe erarbeitet wurden mit dem Ziel, die gefährlichsten noch zugelassenen Pestizide vom Markt zu nehmen.

Ein weiteres wichtiges Projekt ist „Die Tabletten und ich”, das auf psychische Gesundheit fokussiert. Wir haben dabei die Verfügbarkeit und Preise von Medikamenten für die psychische Gesundheit in den öffentlichen Gesundheitsdiensten untersucht und festgestellt, dass die Versorgung oft mangelhaft ist und die Menschen, die diese Medikamente benötigen, hohe Kosten zu tragen haben. Nach unserer Veröffentlichung erfuhren wir von einem Unternehmenskauf, mit dem der Bedarf an mehreren nicht verfügbaren Medikamenten gedeckt werden sollte. Unsere Berichterstattung hat also mit dazu beigetragen, auf die Lösung des Problems zu drängen.

Was motiviert dich persönlich?

Meine größte Motivation ist, dazu beizutragen, dass die wichtigsten Themen, die sich am unmittelbarsten auf das tägliche Leben der Menschen auswirken, im Journalismus präsent sind. Der politische Journalismus vergisst oft die Menschen. Wir bemühen uns darum, im Auge zu behalten, was sich tagtäglich auf das Leben der Menschen auswirkt.

Trotz der schwierigen Umstände für Journalist*innen in Peru und auch weltweit schätze ich die Arbeit – und besonders die Tatsache, dass es eine neue Generation gibt, die nicht nur aus dem Journalismus kommt, sondern aus verschiedenen Disziplinen. Interdisziplinäre Teams sind wirklich ein großer Wert der neuen, unabhängigen Medien. Leute aus der Psychologie, der Soziologie, der Anthropologie, der Informatik, der Kunst – sie alle tragen viel dazu bei, eine neue Art von Journalismus für diese Zeit zu schaffen. Wir Journalist*innen haben gelernt, dass wir nicht mehr so denken können wie vor zehn Jahren. Wir müssen uns immer wieder neu erfinden. Das hilft uns, den Puls der Zeit für unser Publikum zu fühlen. Denn wir wollen ja Menschen erreichen, deren Gesichter wir meistens nicht sehen.

Und wo siehst du noch Entwicklungspotenzial?

Eine Sache, die wir noch nicht erreicht haben, ist eine gute Beziehung zu den Mitarbeiter*innen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Wir möchten, dass sie über unsere Arbeit Bescheid wissen, denn sie arbeiten zu Themen wie Ernährungssicherheit, Klimawandel und Umwelt. Das sind alles Themen, über die Salud con Lupa informiert, mit einer Perspektive der partizipativen Kommunikation. Wir möchten, dass sie unsere Arbeit kennenlernen, und wenn dieses Interview dazu beiträgt, dass sie wissen, dass wir diese Arbeit hier in Lima machen, dann stehen ihnen die Türen offen, zu uns kommen.

Was unterscheidet das peruanische vom deutschen Gesundheitssystem?

Das System in Peru ist sehr kompliziert und fragmentiert. Es gibt verschiedene Teilsysteme des Gesundheitswesens: Sozialversicherung, Staat, Privatwirtschaft. Das führt dazu, dass nicht alle Peruaner*innen die gleiche Qualität der Gesundheitsversorgung erhalten, und es erschwert auch die Koordination. Eine weitere große Herausforderung ist die große Kluft zwischen der Versorgung in der Stadt und in den ländlichen Gebieten. Es gibt viele Faktoren, die einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung in Peru verhindern. Während meines Aufenthalts in Deutschland habe ich von den Problemen gehört, die es auch dort gibt. Aber trotzdem gibt es mehr garantierte Rechte, und eines davon ist das Recht auf Gesundheitsversorgung.

Was es in Deutschland im Unterschied zu Peru nicht gibt, ist die Korruption. Ein Großteil der Gelder, die in das Gesundheitswesen investiert oder dafür bereitgestellt werden, wird durch Korruption abgezogen. Das verhindert nicht nur die Verbesserung der Gesundheitseinrichtungen, sondern auch die Bildung einer Gemeinschaft von medizinischem Fachpersonal, die im Dienste der Menschen steht.

Es gibt also diese Unterschiede, und das hat viel mit den Organisationsmodellen der einzelnen Länder zu tun. Ich denke, dass man in Deutschland von den gemeindebasierten Erfahrungen in Peru lernen könnte, um die Beziehung zwischen den Dienstleistungen und der Gemeinde zu verbessern, insbesondere wenn es um ältere Menschen oder Migrant*innen geht.

Aber Peru muss auch viel davon lernen, wie wichtig es ist, ein gut organisiertes, politisch solide unterstütztes Gesundheitssystem zu haben, das längerfristig Bestand hat. Das ist es vielleicht, was Deutschland uns über die Organisation seines Gesundheitssystems lehren kann.

Das komplette Interview mit Fabiola Torres ist auch hier auf unserem Youtube-Kanal zu sehen.


Bearbeitung und Übersetzung: Annette Brox

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