Die Katholische Universität organisierte ein Symposium zum 50-jährigen Erscheinung der “Theologie der Befreiung”

50 Jahre Befreiungstheologie: Gott an den Rändern suchen

Vor 50 Jahren schrieb der peruanische Theologe sein bahnbrechendes Werk “Theologie der Befreiung”. Es prägte eine ganze Generation Christ*innen in aller Welt. So auch Rudi Eichenlaub, der sich an seine Zeit als Priester in Cajamarca erinnert.

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„Compartir la palabra“ (Das Wort Gottes miteinander teilen im Verlauf des liturgischen Jahres) heißt ein Büchlein von Gustavo Gutierrez, in das ich noch immer gern mal reinschaue, wenn ich den Sitz im Leben einer Sonntagslesung  suche. Vor 50 Jahren war Gustavo Gutierrez auch Pfarrer einer Vorstadtgemeinde in Lima, eher als Theologieprofessor.  Er weiß die einfachen Menschen zu ermutigen.

Über Gustavo Gutierrez und sein Buch „Theologie der Befreiung“ wird zum 50jährigen Datum des Erscheinens viel veröffentlicht. Ich will nur von einem Beispiel berichten, wie seine Theologie in den nördlichen Anden von Peru angekommen ist.

Damals, 1971, wurde ich von der Diözese Hildesheim als Priester für Cajamarca/Peru freigestellt und ich bin fast 20 Jahre dort geblieben. Ich bin dem damaligen Bischof Dammert dankbar, dass er es uns ermöglicht hat, als Team bei den Campesinos das zu leben, was Gustavo Gutierrez in dem Buch „Teología de la liberación“ so großartig formuliert hat. Die Schritte: Sehen – urteilen – handeln – feiern, kannten wir z.B. von Joseph Cardijn und der damaligen Christlichen Arbeiterjugend und wir verwendeten sie für unsere Kurse. Jetzt bekamen sie eine ganz neue Bedeutung im Blick auf die Armen und Ausgebeuteten.

Ich selber lebte fünf Jahre in einem Team, das vor 50 Jahren in der Provinz Bambamarca, von Bischof Dammert autorisiert, das Buch „Vamos Caminando“ verfassen konnte. Die Situation war damals so, dass Pfarrer zur Oberschicht gehörten, die zusammen mit den Landbesitzern die Campesinos unterdrückt und ausgebeutet haben. Zu unserem Team gehörten zwei Priester aus England, Miguel Garnett und John Medcalf, und ein ehemaliger, inzwischen verheirateter Priester, Manolo Sevillano aus Spanien. Wir sind demonstrativ zum Wohnen aufs Land gezogen und nur sonntags in die Provinzstadt gekommen zu priesterlichen Diensten. Künstlerisch viel beigetragen haben Fotos von meinem Bruder Alois und Zeichnungen der Künstlerin Lucy Jochamowitz, die vor Ort die Entwürfe gefertigt hat. Wer das Buch nicht kennt: Es handelt sich um eine Art „Katechismus“,  der ganz nach den Schritten „Sehen – Urteilen – Handeln – Feiern“ auf jeder Doppelseite vom Leben ausgehend neue Zugänge zu biblischen Botschaften und Glaubensinhalten beinhaltet. Von dem Team leben außer mir nur noch Miguel Garnett und mein Bruder, die bis jetzt in Cajamarca wohnen. Ich habe Padre Miguel in einer E-Mail darum gebeten, etwas über die Bedeutung von Gustavo Gutierrez für uns damals zu schreiben. Er hat folgenden Text geschickt:

„Ich würde sagen: was Gustavo uns klargemacht hat, war, dass wir Gott suchen ausgehend von einer konkreten Situation der Armut und des Ausgegrenztseins. Wir sind nicht von Glaubenssätzen und Ideen ausgegangen, sondern von den Armen. Ich glaube, dass es unsere grundsätzliche Vision war, von den Menschen auszugehen und nicht von einem Buch mit Regeln und Dogmen. Jahre später hat ja auch Benedikt XVI. formuliert, dass unser Glaube von der Person ausgeht und nicht von einem Buch. Mir ist klar, dass wir die Bedeutung der Personen herausstellen wollten, vorrangig vor allen Geboten. Die Regeln und Dogmen haben ihren Platz und ihren Wert, aber immer sind die Person und die konkrete Situation ausschlaggebend. Ich lese in einem Buch über die Theologie der Befreiung den Satz „es ist etwas ganz Anderes vom Campus einer europäischen Universität aus etwas zu betrachten oder ausgehend von einem Armenviertel in Peru.“

Um es noch mit einem Beispiel zu belegen, was immer noch in der katholischen Kirche praktiziert wird: der Konflikt über die Zulassung zur Kommunion von geschiedenen und wiederverheirateten Personen: Wenn wir von der Bedeutung der Person ausgehen, so werden wir ohne große Bedenken die Kommunion nicht verweigern. Wenn wir aber davon ausgehen, wie die Sakramente geregelt sind, so werden wir immer noch anders entscheiden.

Worum es uns in dem Buch „Vamos Caminando“ ging:  Mit den Menschen zusammen uns auf den Weg zu machen und nicht einfach das christliche Leben so darzustellen, als ob es ein Hindernislauf wäre.“

Gustavo Gutierrez hat uns selbst in einleitenden Worten bestätigt, wie sehr wir auf seiner Linie liegen. Unser Buch ist auch in deutsch, englisch und portugiesisch übersetzt worden und hat seine Bedeutung als Beitrag zur Theologie der Befreiung bis in unsere Tage behalten. Unser Team-Mitglied John Medcalf hat in seiner Einleitung zur englischen Übersetzung geschrieben: „Beziehung zur Theologie der Befreiung von Gustavo Gutierrez“. Natürlich. Aber trotz wiederholter Bezugnahme in dem Buch auf „Befreiung”, „Freiheit”, „Erlösung”, würde man vielleicht einfacher sagen, im Sinne einer Theologie aus dem Evangelium, dass es uns mehr auf die richtige Praxis ankam als auf die richtige Lehre.“

Rudi Eichenlaub