© Color Esperanza e.V.

„Wir wollten eine Willkommenskultur schaffen“

Der Verein Color Esperanza aus Freiburg ist Pionier bei den Reverse-Programmen, die Jugendlichen aus Peru ein Freiwilliges Soziales Jahr in Deutschland ermöglichen.

Katharina Ruf und Samuel Klein von Color Esperanza erzählen im Interview mit Jimi Merk, wie die Initiative entstand und heute zu einer Solidarität der Gegenseitigkeit beiträgt.  Color Esperanza ist ein Verein, der 2006 von Freiwilligen, die in Peru waren, gegründet wurde. Heute hat Color Esperanza 157 Vollmitglieder. Color Esperanza hat das Ziel, Chancengleichheit und interkulturelle Lernprozesse zu fördern und ermöglicht deshalb u.a. mit dem VAMOS!-Programm peruanischen Freiwilligen ein FSJ in Deutschland. Außerhalb des VAMOS-Programms bestehen andere Arbeitsgruppen, die sich mit wirtschaftlichen, sozialen und politischen Themen befassen oder kreativ arbeiten.

Katharina Ruf vom Vamos-Programm des Vereins Color Esperanza

Wie lange organisiert Color Esperanza (CE) schon dieses Reverse-Programm „VAMOS!“, das Ihr ja schon vor dem Start des „Weltwärts“-Süd-Nord-Austauschs begonnen habt? Mit welcher Motivation habt Ihr das damals angefangen?

Wir haben das Programm 2009 gestartet. Der Grund war, dass wir es als ungerecht empfanden, dass wir als deutsche Jugendliche die Möglichkeit eines Freiwilligenjahres in Peru hatten, peruanische Jugendliche aber umgekehrt nicht. Wir sind da ziemlich „idealistisch“ dran gegangen. Inzwischen gibt es zwar das staatlich finanzierte Süd-Nord-Programm von „Weltwärts“, das Austausch-Verhältnis ist aber immer noch sehr ungleich. 2017 lag das Verhältnis bei allen Weltwärts-Freiwilligendiensten bei 3706 deutschen Freiwilligen, die ins Ausland gingen, gegenüber 564 Freiwilligen aus dem Süden, die ein FSJ in Deutschland absolvierten. Bei der Fachstelle in Freiburg waren es 2017/18 35 deutsche Freiwillige im Ausland und 10 ausländische Freiwillige in Freiburg.

Wie viele Peruaner*innen kamen anfangs und wie viele kommen heute?

In der ersten Zeit kamen zwei peruanische Freiwillige pro Jahr, heute kommen bis zu 10. Das VAMOS!-Programm ist professioneller geworden, wir können die Begleitung für diese Anzahl von Freiwilligen gut gewährleisten. Nach Peru sind 2018 24 deutsche Freiwillige ausgereist, von denen einige eigentlich nach Nicaragua wollten (die Freiwilligen-Programme für Nicaragua sind gerade ausgesetzt, d.Red.)

Wie gewinnt Ihr die Teilnehmer*innen in Peru? Aus welchen gesellschaftlichen Gruppen kommen sie?

Es werden Ausschreibungen gemacht, jedes Jahr in einer bestimmten Region; die Werbung läuft über die sozialen Medien und über Radio. Unsere Partnerorganisationen sind:

  • Voluntades: das ist eine peruanische NGO, die mit Ehrenamtlichen Projekte in ganz Peru durchführt- im Krankenhaus, in der Kinder- und Senioren-Arbeit und
  • Yanapachikun Immer: das sind ehemalige peruanische Freiwillige der Fachstelle Freiburg, der Name bedeutet: „wir gehen immer weiter“ (analog zu VAMOS!)

Interessierte können sich bewerben, es finden dann Bewerbungsgespräche statt.

Unser Ziel ist es, Leute aus allen sozialen Schichten zu gewinnen, deswegen findet kein Sprachtest statt. Es ist nur eine geringe finanzielle Beteiligung durch die Freiwilligen vorgesehen z.B. bei Kosten des Visums. Übernommen werden von uns insbesondere Flug, Verpflegung, pädagogische Begleitung, Gehalt und Versicherungen.

Die Auswahl findet durch die Partner vor Ort statt. Ein Kriterium bei der Auswahl ist die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Arbeit, ein anderes das Interesse an gesellschaftlichen Fragen, sowie das Interesse und die Bereitschaft, eine andere Sprache zu lernen.

Das VAMOS!-Team hat eine Rassismus-kritische Prozessbegleitung gemacht. Dieser Prozess lief über zwei Jahre, es wurden die Vereins- und Machtstrukturen des Programms analysiert, um herauszufinden, wie mehr Gerechtigkeit innerhalb des VAMOS!-Programms und zwischen den Kooperationspartnern geschaffen werden kann. Ein wichtiger Schritt war unter anderem, Empowerment-Workshops für die peruanischen Freiwilligen in die Seminare mit einzubinden. Es bleibt ein Stück Ungleichheit im Programm bestehen durch die Herkunft der Gelder und die Abrechnungspflicht.

Samuel Klein vom Vamos-Programm des Vereins Color Esperanza

Welche Ausbildung haben die Teilnehmer*innen?

Das ist sehr gemischt: die Mehrheit ist im Studium oder hat das Studium bereits abgeschlossen. Wenige machen den Dienst direkt nach der Schule, aber es gibt auch Teilnehmer*innen in Arbeit mit Anfang-Mitte 20 Jahren.

In welchen Einrichtungen Freiburgs leisten sie ihren Freiwilligendienst?

Die meisten arbeiten im Sozialen Bereich, also im Kindergarten oder im Altersheim, im Jugendzentrum oder an Schulen. Manche machen ihren Freiwilligendienst bei einer politischen oder Umweltorganisation. Die Freiwilligen äußern bestimmte Interessen, zu denen wir versuchen, eine Einsatzstelle zuzuordnen. Dania Farfán vom Referat Freiwilligendienste im Erzbischöflichen Seelsorgeamt sucht die Einsatzstellen und hält dorthin den Kontakt.

Was war Euer Ziel, Eure Vorstellung für die Freiwilligen?

Der Freiwilligendienst ist in erster Linie ein Lerndienst. Die Freiwilligen sollen sich in ihrer Einsatzstelle einbringen, ohne jedoch eine*n Angestellte*n zu ersetzen. Sie sollen Deutschland kennenlernen und ein schönes Jahr haben, eine neue Sprache lernen, interkulturelle Erfahrungen machen, sich einbringen mit ihrem kulturellen Hintergrund, etwas über sich selbst erfahren und eventuell Erfahrungen für ihren Beruf sammeln.

Was war Euer Ziel, Eure Vorstellung für die Projekte?

Sie sollten den Projekten nützen als zusätzliche Arbeitskraft, die auch Verantwortung z. B. für eine Gruppe übernimmt. Dies ist am Anfang immer etwas mühselig wegen der Sprachprobleme. Die Projekte sollen den Freiwilligen ein Einsatzfeld bieten, in das sie sich mit ihren Fähigkeiten einbringen können. Dabei dürfen sie aber, so gibt es das weltwärts-Programm vor, keine reguläre Arbeitskraft ersetzen . Die Einsatzstelle sollte den Freiwilligendienst auch für sich als eine Lernchance begreifen. Auch die Freiwilligen begreifen sich als Lernende. Dieser Aspekt darf neben dem materiellen Nutzen der Freiwilligen für die Einsatzstelle nicht vergessen werden.

Sorge bereiten uns Tendenzen, dass über Freiwilligendienste ansonsten nur schwer zu besetzende Stellen z.B. in der Pflege, billig besetzt werden. Hier tritt der Lerndienstcharakter in den Hintergrund. Wir haben aber auch eine Einsatzstelle in einem Altenheim und haben damit gute Erfahrungen gemacht. Keine Einsatzstelle ist daher per se schlecht, es kommt auf die richtigen Bedingungen und die Offenheit der Arbeitgeber an.

Was war Euer Ziel, Eure Vorstellung für Euch, für Euren Verein?

Wir wollten eine Willkommenskultur schaffen. Außerdem sollten die Leute, die mit den Freiwilligen zu tun haben, etwas über Peru erfahren und Toleranz und Verständnis für andere lernen. Damit leistet der Verein vor allem einen Beitrag für die Gesellschaft in Deutschland und natürlich auch für die Peruaner*innen, die über den Freiwilligendienst die Chance zu einem solchen Dienst bekommen haben.

Was hat sich bei den Freiwilligen verändert in den Jahren?

Durch die staatliche Förderung über das Weltwärts-Programm ist unser Programm größer und unsere Arbeit professioneller geworden. Bei den Seminaren bearbeiten wir mittlerweile auch mehr gesellschaftskritische Themen, wie Gender oder Postkolonialismus. Außerdem haben wir Empowerment-Tage für die Freiwilligen eingeführt . Empowerment ist eine wichtige Strategie, um Freiwilligen, die Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus machen (und das tun viele der Freiwilligen), ein Werkzeug an die Hand zu geben, wie sie damit produktiv umgehen können.

Früher gab es die Visa-Probleme für die Freiwilligen; die haben wir nicht mehr, denn durch die offizielle Anerkennung des Dienstes über das BMZ im Weltwärts-Programm sind die Visa-Entscheidungen keine Einzelfälle mehr. Mit einigen afrikanischen Ländern haben Aufnahmeorganisationen aber auch noch nach dem Start des offiziellen Weltwärts-Programms Probleme mit Visa gehabt. Grund für die Ablehnung durch die deutsche Botschaft war oft eine als mangelhaft attestierte Rückkehrbereitschaft, z.B. wenn Freiwillige nicht angeben konnten, was sie nach dem Freiwilligendienst machen werden. (Nicht wenige deutsche Freiwillige können das ebensowenig.)

Was hat sich bei den Projekten verändert in den Jahren?

Wir sind bekannter geworden, die Werbung läuft nicht nur über die Gemeinden. Die Kooperation mit den Projekten ist konstant geworden, aber wir haben Erweiterungsversuche gemacht. Die meisten Projekte sind im Bereich Kinder, Jugendliche, Umwelt und Bildung, manchmal kommt etwas Neues hinzu.

Was hat sich inzwischen bei Euren Zielen verändert?

Wir sehen viele Dinge differenzierter, sind nicht mehr so blauäugig. Der Austausch von Deutschland nach Peru ist nicht das gleiche wie der von Peru nach Deutschland. Die deutschen Freiwilligen werden in Peru oft idealisiert, so als ob sie alles könnten. Hier müssen die peruanischen Freiwilligen eher kämpfen, haben Probleme und werden mit rassistischem Verhalten konfrontiert.

Haben sich Eure Einschätzungen bezüglich der Wirkungen des Freiwilligen-Einsatzes verändert ?

Wir sind (selbst)kritischer geworden, es läuft nicht alles super, wir beschäftigen uns mit den Problemen. Auf der einen Seite gibt es Dinge, die immer mal wieder vorkommen: Es passt nicht zwischen Freiwilligen und Gastfamilie, ein Freiwilliger hat Heimweh oder kommt immer wieder zu spät zu Arbeit. Aber auch schwierigere Dinge: z.B. wie gehen wir damit um, dass weiterhin ein Großteil des Dienstes von Deutschland finanziert wird und damit die kolonialen Machtverhältnisse erhalten bleiben? Wie bereiten wir die Freiwilligen auf wachsende Anfeindungen gegenüber Ausländern und Rassismus in Deutschland vor, ohne gleichzeitig zu verängstigen? Konsequenzen sind unsere Beschäftigung mit Rassismuskritik und postkolonialen Strukturen.

Welche Rückmeldungen gibt es von den peruanischen Freiwilligen bei der Auswertung und danach?

Es gibt überwiegend positive Rückmeldungen. Sie bedanken sich bei den Einsatzstellen und bei den Gastfamilien oder im Wohnheim, sagen dass sie sich in der Familie wohl gefühlt haben. Im Allgemeinen sind die Freiwilligen glücklich, über all die Erfahrungen und Erlebnisse, die sie über das Jahr hinweg gesammelt haben. Es gibt aber auch an einigen Punkten Kritik, z. B. bei einem Familien-Wechsel , der womöglich nicht glatt gelaufen ist. Sie berichten auch von Problemen bei der Rückkehr.

In Peru gab es Treffen mit Ex-Freiwilligen, die seit ein oder zwei Jahren zurück sind: sie berichten, dass sie viel von ihrem Einsatz mitgenommen haben. Viele von ihnen engagieren sich weiterhin für soziale oder politische Themen in Peru oder befassen sich mit anderen Themen, sind sehr selbst-reflektiert. Ihr Aufenthalt in Deutschland kann ihnen später Türen öffnen.

Habt Ihr später noch Kontakt zu den Ex-Freiwilligen?

Ja, zunächst über die Partnerorganisationen, meist ehemalige peruanische Freiwillige aus Freiburg. Es sind aber auch Freundschaften entstanden, die weiter gehen. Dann über die Arbeit im VAMOS!-Team selbst. Die ehemaligen peruanischen Freiwilligen engagieren sich nach ihrem Freiwilligendienst nämlich oft in einer der Partnerorganisationen „Voluntades“ oder „Yanapachikun Immer“ und so bleiben wir quasi in einem „Arbeitsverhältnis“. Zum Anderen entstehen natürlich Freundschaften zwischen den Freiwilligen und Vereinsmitgliedern und man besucht sich gegenseitig, wenn man vor Ort ist. Manche der peruanischen Freiwilligen kommen auch nach Deutschland zurück, machen hier ein Studium oder eine Ausbildung – also der Kontakt bleibt oft bestehen.

Was sind Eure Perspektiven? Wie geht es weiter?

Es gibt keine großen Veränderungen. Es wurde entschieden, dass die Arbeit des Programms vom VAMOS!-Team und dem Referat Freiwilligendienste der Erzdiözese Freiburg getragen wird.

Eine ständige Herausforderung ist es, Ehrenamtliche für die Arbeit zu gewinnen. Es sind Leute vom VAMOS!-Team aus Freiburg weggezogen, und nun gilt es, neue Mitglieder von Color Esperanza für die Arbeit im VAMOS!-Team zu begeistern.

Die Kooperation der Ehrenamtlichen und der Hauptamtlichen im Referat Freiwilligendienste klappt gut, das ist wichtig. Wir sind mit dem Konzept für VAMOS! zufrieden, werden aber daran weiterarbeiten.


Katharina Ruf ist 28 Jahre alt und studiert Ethnologie; Samuel Klein ist 25 und Referent für Theologie beim BDKJ Köln.

Das Interview führte Jimi Merk