© Tom Quiroz/Casa de la Literatura Peruana

Das Recht, von dem zu leben, was man gerne tut

Ein Interview mit der peruanischen Schriftstellerin Teresa Ruiz Rosas.

Teresa Ruiz Rosas ist keine Person, die man übersieht. Mit ihrer langen Lockenmähne, dem Muttermal über der rechten Lippe und vor allem ihrem herzlichen, immer etwas heiser klingenden, Lachen fällt sie auf. Die gebürtige Arequipeña hat sich in den letzten Jahren als eine der bedeutendsten peruanischen Romanautor*innen etabliert. Unter anderem hat sie die Romane „Nada que declarar“ und „Estación Delirio“ veröffentlicht. Teresa Ruiz Rosas lebt seit 30 Jahren in Deutschland und ist auch als Literaturübersetzerin tätig. U.a. hat sie W.G.Sebald, Botho Strauss, Fred Wander, Soma Morgenstern und Rose Ausländer ins Spanische übersetzt. Und aus dem Ungarischen Milán Füst und András Forgach.

 

Infostelle:  Du lebst nun seit 30 Jahren in Deutschland. Wie kam es dazu ?

 

Teresa Ruiz Rosas (TRR): Ich komme aus Arequipa und habe dort die peruanisch-deutsche Schule besucht. Zum ersten Mal war ich 1977 in Deutschland, 2 Wochen im damaligen Ost-Berlin, als ich in Budapest lebte, dann 4 Wochen in Stuttgart. Danach habe ich in 5 Jahre in Spanien gelebt, und wurde, wieder zurück in Arequipa, Leiterin des Deutsch-Peruanischen Kulturinstitutes.  1986 ging ich mit einem Stipendium dann nach Freiburg, dann war ich wieder 2 Jahre in Arequipa, und seit dem Mauerfall lebe ich in Deutschland. Es hat sich so ergeben. 1998 bin ich von Freiburg nach Köln gezogen, weil ich einen Auftrag bei der Deutschen Welle bekam. Als der Sender dann nach Berlin ging, bin ich in Köln geblieben.  Dort lebe ich als freie Schriftstellerin und Literaturübersetzerin und war auch Dozentin für Spanisch an der Uni.

 

Infostelle: Ist das nicht schwierig, einerseits seit Jahren in Deutschland zu leben, aber in Spanisch für eine spanischsprechende Leserschaft zu schreiben ?

 

TRR: Ich habe mich nie als Schriftstellerin auf eine Nationalität fixiert. Eine meiner ersten Kurzgeschichten spielt zum Beispiel  in Island, und ich bin bis heute nicht dort gewesen.  Wenn ich in Peru bin, dann genieße ich es natürlich, an der Literaturszene ein bisschen teilzunehmen, und vor allem mit vielen Menschen  Gespräche zu führen.  In Deutschland finde ich mehr Ruhe zum Schreiben. Dort sitze ich nicht mehr so lange in Cafes, ich möchte wenig Ablenkung. Man sitzt unzählige Stunden am Schreibtisch, um einen Roman zu schreiben. Lima, Arequipa,  sind einerseits herrlich, weil ich so viele Leute auch von früher kenne, aber das soziale Leben dort lässt mir kaum Zeit zum Schreiben, wahrscheinlich weil ich sozusagen zu Besuch bin. Die nötige Ruhe finde ich vielmehr in Deutschland.

 

Infostelle: Wie findest Du die Themen für Deine Romane?

 

TRR:  Die Idee für meinen neuesten Roman „Estación Delirio“ bekam ich von einer deutschen Freundin, die ich in meiner Jugend in Arequipa kennengelernt hatte und die mir später erzählte, wie sie als Sekretärin einer psychiatrischen Klinik in Stuttgart arbeitete, und auf Geheiß ihres Psychiaters alle psychisch kranken Patientinnen der Anstalt  freilassen und vom Stuttgarter Hauptbahnhof jeweils nach Hause schicken musste. Als ich die Geschichte hörte, wusste ich, dass ich darüber schreiben würde. Nur hat es 30 Jahre gedauert.  Ich habe die Vita des realen Psychiaters, der das Vorbild für das Buch lieferte, für meinen Roman gründlich recherchiert. Eine Psychiaterin in den USA hat das Manuskript gegengelesen, ob die Details aller Krankheiten auch stimmen, denn ich habe den Patientinnen auch jeweils eine Geschichte erfunden.

Auf mein Buch „Nada de declarar“ , das den Frauenhandel zum Thema hat, kam ich, als ich in Düsseldorf  Prostituierte hinter Fenstern sah, die sich wie nummerierte Puppen anboten. An sich hat mich das Thema Prostitution immer interessiert, diese Entwürdigung der Frau fand ich schrecklich und traurig zugleich. Ich habe mich in Zürich bei der FIZ, der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, bei einer Psychologin ausführlich informiert, dann von der FIZ regelmäßig Materialien bekommen. In Lima habe ich mit der Psychologin Andrea Querol lange in ihrem Büro der  NGO “CHS Alternativo” gesprochen und auch wertvolle Publikationen von ihr bekommen, habe mehrere Artikel von Alice Schwarzer gelesen, Fernsehsendungen zum Thema geschaut, Bücher gelesen. Es gibt mehrere Parallelgeschichten in diesem Roman, die haben wiederum andere Ursprünge,  aber es ist insgesamt eine Fiktion.

 

Infostelle: Du besuchst Peru zwar ein oder zweimal im Jahr, aber dennoch ist Dein Blick auf Peru auch einer von außen. Welches Bild hast Du von Peru heute ?

 

TRR: Zuerst einmal ist das Land extrem gewachsen. Arequipa hatte 200 000 Einwohner, als ich wegging, heute hat es fast fünf mal so viele. Zur politischen Situation, was soll ich da sagen? Es gab so viele Möglichkeiten, groß in die Geschichte einzugehen. Und alle haben es in den Sand gesetzt, anstatt sich um die Erziehung und das Gesundheitssystem gründich zu kümmern, das sind nach wie vor die Prioritäten. Das macht mich sehr traurig.

Die Firma Odebrecht ist für mich heute die Verkörperung des Teufels auf Erden. Jedes Projekt, jede Regierung, die vielversprechend angefangen hatte, wurde von ihr wie in einem Alptraum-Märchen korrumpiert.

 

Infostelle: Woher kommt Deiner Meinung nach diese tief verwurzelte Korruption in der peruanischen Gesellschaft ?

 

TRR: Mein Vater (der bekannte peruanische Dichter Jose Ruiz Rosas, d.Red.) hat uns immer davor gewarnt, dass leider dieser Spruch zu sehr verbreitet wäre: „Der Reiche lebt vom Armen, und der Arme von seiner Arbeit.“ So gilt in Peru jemand, der sich schnell bereichert, als erfolgreich und klug, einer der es geschafft hat. Genauso übrigens, wie in einer der Charakter-Satiren von Elias Canetti in seiner großartigen Sammlung Der Ohrenzeuge zu lesen ist, keine peruanische Spezialität also. Solche Ansichten habe ich schon als Schülerin in Arequipa gehört, selbst unter den Kommilitonen der peruanisch-deutschen Schule, leider. Sich rasch zu bereichern, ganz egal wie, war das richtige Ziel im Leben, bloß kein Looser werden. Wer dagegen hart arbeitet, gilt als blöd, die Ausbeutung der Schwächeren ist das Intelligente.  Ich habe mich von diesen Aussagen dank der Ethik meines Elternhauses immer distanziert, aber sie existieren in unserer Gesellschaft und zwar tief verankert und quer durch alle Schichten.

Dazu kommt der  Einfluss der USA, mit dem Märchen vom Self-Made-Millionär, dass es nur darum geht, schwerreich zu werden, und mit welchen Mitteln spielt wiederum keine Rolle. Ein Modell, dass leider weltweit immer wieder Echo gefunden hat, auch bei Gesellschaften, die ursprünglich dagegen gekämpft hatten.

 

Infostelle:  Die Infostelle ist ja ein Netzwerk von deutschen Solidaritätsgruppen mit Peru. Aber braucht es diese Solidarität heute überhaupt noch?

 

TRR: Das würde ich differenziert betrachten. Wenn ich zum Beispiel  an die Mitarbeitenden der GIZ (damals GTZ) denke, die damals nach Peru  kamen und 15 mal mehr verdienten als die ebenso qualifizierten einheimischen Mitarbeitenden, dann finde ich das problematisch. Diese Ungleichbehandlung führt eher zu Konflikten.

Bei der Solidarität von Menschenrechtsgruppen ist es anders. Da geht es um eine Einstellung zum Leben, die geteilt wird. Diese Art von Solidarität finde ich sehr wichtig. Aber sie darf nicht in Paternalismus verfallen, dergestalt, dass die Deutschen den Peruaner*innen alles schenken, und nicht den Peruaner*innen etwas beibringen, damit sie sich nachhaltig und langfristig selber helfen können. Kurios ist allerdings, dass in Deutschland der Begriff Klassengesellschaft wieder aktuell ist. Das heißt, dass sich die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten nicht nur in Peru, sondern auch in Deutschland verstärken.

 

Infostelle: Was ist für Dich das Beste aus beiden Welten, der peruanischen und der deutschen?

 

TRR: Ich bin ein sehr optimistischer Mensch, und in Peru finde ich eine Lebensfreude, die ich hier in Köln fast nur während des Karnevals erlebe. Diese Fähigkeit, sich trotz aller Widrigkeiten wohl zu fühlen, gefällt mir in Peru. Das Beste an Deutschland ist für mich die Zuverlässigkeit, man weiß, dass die Menschen in Deutschland oft das meinen, was sie sagen, deshalb funktionieren auch meistens die Dinge.

 

Infostelle: Was sind Deine nächsten Projekte ?

 

TRR: Ich arbeite an einem neuen Roman. Mehr will ich darüber noch nicht verraten. Auch ein neues Übersetzungsprojekt steht an. Ich habe das Glück, dass ich mich mit literarischen Übersetzungen und den Romanen über Wasser halten kann.  Der Preis, das zu tun, was mir gefällt, ist hoch, aber es ist wichtig, diese  Entscheidung getroffen zu haben. Ich denke auch nicht an die Rente, sondern möchte möglichst lange schriftstellerisch tätig sein. Es sollte ein Menschenrecht sein, dass man von dem leben darf, was man gerne tut.

Ich habe in meinem Leben vieles gesehen, habe auch viele Fehler gemacht. Aber ich habe heute nicht das Gefühl, irgendetwas verpasst oder nicht gelebt zu haben. Ich muss nichts mehr nachholen und kann mich aufs Schreiben konzentrieren. 

 

Das Interview führte Hildegard Willer

Webseite von Teresa Ruiz Rosas: www.teresaruizrosas.com

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