„Aus der Komfortzone ausbrechen“

Das Vamos-Programm holt junge Peruaner*innen für einen einjährigen Freiwilligendienst nach Freiburg.

Junge Menschen, die für ein Jahr einen Freiwilligendienst im Ausland machen, das kennen wir oft nur von Menschen aus dem globalen Norden. Das VAMOS!-Programm hat sich zum Ziel gesetzt, das zu ändern, indem es Menschen aus dem globalen Süden die Möglichkeit bietet, einen einjährigen Freiwilligendienst in Deutschland zu absolvieren. Zurzeit befinden sich zehn junge Peruaner*innen über das VAMOS!-Programm in Deutschland und machen dort vor allem in Südbaden ihren Freiwilligendienst. Sie bringen ein Jahr dort in verschiedenen sozialen und bildungspolitischen Einsatzstellen ihre Fähigkeiten ein, genauso wie sie andere Sicht- und Lebensweisen kennenlernen. Von ihren Erfahrungen, Erlebnissen und der individuellen Bedeutung des Freiwilligendienst haben die jungen Peruaner*innen, die ihren Freiwilligendienst von August 2018 bis August 2019 absolviert haben, in einem Interview berichtet.

Ängste überwinden

Schon alleine sich für einen Freiwilligendienst zu entscheiden, den man tausende Kilometer von der Heimat, der Familie, allem Vertrauten, macht, erfordert Mut. Diese Entscheidung ist aber erst ein erster Schritt. So erzählt die junge Peruanerin Melissa, die während ihres Freiwilligendienstes in einer Schule mitarbeitete, dass sie die Fähigkeit, eigene Ängste zu überwinden für besonders wichtig in ihrem Jahr in Deutschland empfunden hat. So habe sie zum Beispiel lernen müssen, ihre Angst, vor Schüler*innen zu stehen, zu überwinden: „Ich hatte viel Angst, vor der Klasse zu stehen, v.a. bei Jugendlichen, die meine Anwesenheit manchmal nicht respektierten und es nicht respektierten, dass ich da war, um ihnen zu helfen. Aber ich stellte mich vor sie und machte, was ich machen musste und am Ende war ich ruhig und ich freute mich sehr, dass ich das geschafft habe.“

Ängste überwinden, das hat auch Abel, der einen Freiwilligendienst in einem Jugendzentrum machte, geschafft: „Ich hatte Angst, Dinge selbst in die Hand zu nehmen oder eigene Ideen in meiner Einsatzstelle einzubringen, weil ich Angst hatte zu scheitern.“ Diese anfänglichen Ängste überwand er aber, wie er erzählte, indem er sich selbst vor Augen führte, dass ihm dadurch viele neue Erfahrungen und Dinge, die Erfüllung bringen könnten, verloren gehen würden.

Auch Nuria, die in einer Kindertagesstätte mitarbeitete, erzählte von der Überwindung ihrer anfänglichen Ängste und fügte hinzu: „Aber ich konnte meine Ängste in Herausforderungen umwandeln.“

Wagen, Neues auszuprobieren und so Dinge schaffen, die man für unmöglich gehalten hat

Was sich ergeben kann, wenn man es schafft, seine Ängste zu überwinden und Neues zu wagen, auch davon erzählten die Freiwilligen.

Nuria: „Hier [in Deutschland] musste ich aus meiner Komfortzone ausbrechen, ich musste mich verändern, ich musste Risiken eingehen, ich musste [neue Dinge] verstehen (…). Ich musste Dinge tun, von denen ich dachte, dass ich sie nie machen werden. Ich habe davor nie daran gedacht, die Windeln von jemanden zu wechseln. Aber bei der Arbeit hat genau das mir erlaubt, mich den Kindern zu nähern.“

Abel erzählt, wie er durch die Notwendigkeit, Neues zu wagen, Dinge geschafft hat, die er sich vorher nicht vorstellen konnte: „Ich habe frustrierende Momente überwunden, Momente der Unsicherheit. Das war nicht einfach, aber ich merke, dass ich selbst vorangekommen bin.“

Die Dinge Schritt für Schritt angehen

Eine mögliche Strategie, mit den Schwierigkeiten und Ängsten, die während des Freiwilligendienstes auftauchen können, kann sein, nicht alles auf einmal schaffen zu wollen, sondern die Dinge Schritt für zu realisieren. Das erlebte die Freiwillige Yaxayra: „[Ich habe] Stück für Stück die Angst zu sprechen verloren, Stück für Stück neue Dinge ausprobiert. Am Anfang habe ich [in der Einsatzstelle] gelernt, zu kopieren, auszudrucken und zu laminieren. Danach haben sie [die Kolleg*innen] mir gesagt: gut, jetzt kannst du vielleicht einen kleinen Workshop oder ein kleines Spiel mit den Kindern machen.“ Der Freiwillige Marco Esthib hat ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass diese Strategie funktionieren kann: „Ich war bei meiner Arbeit in der Küche und eines Tages sagte mir mein Chef: Vielleicht kannst du jetzt alleine bleiben und es selbst machen. Und eigentlich wusste ich gar nicht, wie ich das schaffen sollte, aber ich sagte: In Ordnung, ich werde es machen. Nach eineinhalb Monaten wurde mir die Küche dann alleine zugeteilt.“

Diese Erfahrungen zeigen, wie die Freiwilligen mit den Herausforderungen, die ein Freiwilligendienst mit sich bringen kann, umgegangen sind: statt sich von den Herausforderungen einschüchtern so lassen, sind sie ihnen Stück für Stück begegnet und konnten es so schaffen, Neues zu wagen und daran zu wachsen.

Geduld haben mit sich selbst und den Dingen um sich herum

Dass die Dinge selbst dann nicht immer sofort funktionieren, wenn man sie Stück für Stück angeht, auch davon erzählten die Freiwilligen. Und dass man in solchen Situationen Geduld braucht, um Dinge zu lernen. Der junge Peruaner Luis erlebte das zum Beispiel bezüglich der Sprache: „Es war ein sehr langer Prozess [die Sprache] zu lernen und üben.“ Barbara erzählt uns, dass sie in fast allen Gebieten Geduld aufbringen musste. Vor allem merkte sie das jedoch bei ihrer Arbeit im Kindergarten: „Es wird wirklich eine andere Methodik verwendet und ich dachte zu Beginn, ich werde nur mit den Kindern spielen. Bis ich Stück für Stück lernte, dass jede Routine, die wir machen oder nicht machen, wichtig für die Kinder ist.“

Auch bis sie das System der öffentlichen Verkehrsmittel verstanden hat, habe sie Geduld gebracht „danach wurde ich aber dann Expertin darin.“

Ebenso berichteten die Freiwilligen, dass Geduld, Dinge die am Anfang des Jahres sehr kompliziert waren, in alltägliche Gegebenheiten verändern kann. So fiel es Yaxayra am Anfang wegen der Sprachbarriere schwer, sich an ihre Arbeitskolleg*innen mit Fragen zu wenden. Irgendwann ließ sie es aber nicht mehr zu, dass sie ihre Angst lähmte. „Meine Haltung hat sich sehr verändert – vorher war ich sehr ungeduldig mit mir selbst (…).“

Auch Angela machte in ihrer Einsatzstelle, einem Kindergarten, die Erfahrung, geduldiger mit sich selbst und den Dingen um sich herum zu sein. So fiel ihr es zu Beginn schwer, Spiele (vor allem Brettspiele) mit den Kindern zu spielen, die sie nicht kannte, da sie zuerst die Anleitung verstehen und dann diese noch in der fremden Sprache den Kindern erklären musste. „Es war sehr kompliziert und es vergingen Wochen bis sie [die Kinder] sagten: lass uns das spielen und ich sagte: ah ok, ich weiß, wie es funktioniert.“

Veränderungen zulassen

Einen Freiwilligendienst zu machen, das bedeutet auch, Dingen, die einem fremd sind, gegenüber offen zu sein und sich auf Veränderungen seiner bisherigen Sichtweise einzulassen. Diese Erfahrung teilte Briam im Interview. Er habe sich während des Jahres darauf einlassen müssen, viele ihm unbekannte Themen kennenzulernen und zu verstehen. Dazu gehörten Themen wie Identität, Geschlechterdiversität und Toleranz gegenüber Menschen, mit ganz anderen Sichtweisen. Ebenso waren der Geräuschpegel sowie die Methodik im Kindergarten, Dinge, an die er sich erst gewöhnen musste. Für ihn war es aber wichtig, sich ein Stück weit an andere Lebensweisen und das andere System anzupassen: „Hier [in Deutschland] funktioniert das System und du kannst keine Dinge ändern, die schon viele Jahre so bestehen.“

Aus Fehlern lernen

Das nicht immer alles so läuft, wie man es sich wünschen würde, auch das gehört zu den Erkenntnissen, die die Freiwilligen aus ihrem Jahr mitnehmen. Vor allem aber, dass man aus den Fehlern, die jeder Mensch macht, auch einen Nutzen ziehen und daraus lernen kann.

So berichtete die Freiwillige Aida, dass sie die Erfahrung gemacht hat, dass wir uns manchmal selbst eine Idee von einer Sache schaffen, die aber nur unseren eigenen Vorstellungen entspricht und nicht unbedingt deckungsgleich mit den Ideen unseres Gegenüber sind. Das könne zu Missverständnissen führen und dazu, dass man Fehler mache. „Ich habe akzeptiert, dass ich Fehler habe, in denen ich mich verändern muss und diese Erkenntnis hat mich als Person wachsen lassen.“

Gute und schwierige Situationen als Teil der Erfahrung auffassen

„Ein Freiwilligendienst kann bedeuten, dass du lachst und weinst, die Zeit aber trotzdem genießen kannst“. Dieser Satz stammt von Angela. Im Interview erzählte sie genauer, was sie damit meint und welche Bedeutung er für ihren Freiwilligendienst hatte. „Nichts lief so, wie ich es mir vorgestellt habe. Nichts, absolut nichts (…). Das war schwierig für mich, aber ich glaube, dass ich aus jedem Weinen und von jedem Lachen viel gelernt habe (…). Es ist wichtig für mich, den nächsten Freiwilligen zu sagen, dass ich nicht sagen kann, dass sie das Jahr genial verbringen werden. Denn ich habe mich alleine gefühlt, ich habe mich schlecht gefühlt – manchmal habe ich gute Momente erlebt, manchmal nicht. Aber ich glaube, dass mir Lachen und Weinen gut taten und jetzt bin ich, wer ich bin und ich merke, dass ich sehr an mir selbst gewachsen bin.“ Und sie fügte hinzu: „Wenn mir nicht all das passiert wäre, wäre ich nicht so gewachsen, ich hätte nicht so viel gelernt.“

Der Freiwilligendienst als individuelle Erfahrung

Was in dem Interview auffiel, ist die Tatsache, dass jede*r Freiwillige ganz unterschiedliche Blickwinkel und Sichtweise auf ihren Freiwilligendienst teilte. Sie lebten unterschiedlich, waren in unterschiedlichen Einsatzstellen, lernten unterschiedliche Menschen kennen. So erzählte Nuria: „In meiner Zusammenfassung von diesem Jahr finden sich vor allem Namen, weil ich [verschiedene] Personen kennengelernt habe.“

Die zehn jungen Menschen haben anderen Menschen viele neue Sichtweisen auf die Dinge ermöglicht, genauso wie sie von Sichtweisen anderer Menschen lernen konnten. Vor allem machten sie aber durch ihre eigenen Persönlichkeiten den Freiwilligendienst zu einer individuellen Erfahrung – zu ihrem Freiwilligendienst, ihrem Jahr in Deutschland.

Svea Knebel