Amazonas-Reporter: Für den Markt oder für den Eigenverbrauch?

Vielfältige Früchte für den Eigenverbrauch anzubauen, ist gesund für Mensch und Umwelt. Aber erst der Verkauf einer grossen Menge eines einzelnen Produktes auf dem Markt bringt das notwendige Geld. Kleinbauern am Amazonas fragen sich, was besser für sie ist.
Um den Hunger in der Schulpause zu stillen, hat der 8-jährige Edgar Salas in seinem Rucksack ein Getränk aus Kakao und Maismehl dabei, außerdem eine Banane – Erzeugnisse vom Feld seiner Familie. Sie werden ihm die nötige Energie geben, um den ganzen Vormittag zu lernen und Sport zu machen, und so muss er sich keine Kekse oder Limonade am Schulkiosk kaufen.
In der indigenen Gemeinschaft, in der Edgar aufwächst, und in den anderen Quechua sprechenden Gemeinden von Lamas in der Region San Martín im nördlichen Regenwald von Peru, ist die familiäre Landwirtschaft die wichtigste Wirtschaftstätigkeit. Sie sichert den Familien den Zugang zu reichhaltigen und gesunden Nahrungsmitteln, gepflanzt auf den eigenen Feldern.

Monokultur verdrängt alte Kultur der Fruchtfolge

Auf einem Hektar Anbaufläche pflanzen die Familien in einem bunten Durcheinander Mais, Erdnüsse, Bohnen, Banane, Tomate und Maniok – diversifizierten Anbau nennen sie das. Gleichzeitig weiten die Familien die Monokultur von Produkten aus, die ausschließlich für den Verkauf bestimmt sind, wie der Kakao, der Kaffee oder Palmherzen. In einigen Fällen verdrängen die Monokulturen allmählich die Flächen des diversifizierten Anbaus.
Der diversifizierte Anbau ist die Antwort auf auf einen Umweltkreislauf, in dem die Wildkräuter, die Feldfrüchte, Insekten und Bäume in einer Beziehung zueinander stehen und auf diese Weise das Leben der Pflanzen und Tiere bewahren. So achten die Bauern auf die Vielfalt der Natur; es ist eine uralte Praxis, die die Quechua sprechenden Gemeinschaften anwenden seit sie vor mehr als drei Jahrhunderten von den Anden nach San Martín kamen.
In der Weltanschauung der Quechua-Gemeinden sind die Aktivitäten auf dem Feld und im Wald (wie das Jagen oder Sammeln von Heilpflanzen) zwei verschiedene Welten, in die die Menschen auf unterschiedliche Weise eintreten, aber die in harmonischer Verbindung zueinander stehen.

Kakao als neue Monokultur
Das moderne Leben hat neue Anforderungen in die indigenen Gemeinschaften gebracht, auf die die Bewohner mit dem Anbau von Kakao und Kaffee eine Antwort suchen/gefunden haben. Die Mobilisierung im Auto oder Motorrad von einer Gemeinschaft in die nächste oder bis hin in die Stadt, und die Ausbildung der Kinder sind die Hauptausgaben, die mit den Einnahmen aus den Monokulturen der Kleinbauern gedeckt werden.
Die hohen Preise, die die Bauern auf dem nationalen und internationalen Markt für ihre Produkte erzielen – zwischen 1,5 bis 4 US Dollar pro Kilo – stehen den Quechua-Praktiken des Tauschens und Verkaufens von Früchten für den Eigenbedarf auf kleinen Märkten der umliegenden Dörfer gegenüber.
Da der Kaffeeanbau sehr unter der Gelbrostepidemie von 2013 gelitten hat, hat sich nun der Kakao zum Haupthandelsprodukt entwickelt und weitet sich in den nativen Gemeinschaften von San Martín aus. Zwei bis fünf Hektar groß sind die Kakaoplantagen der Familien, damit der Anbau rentabel ist.
Der Fall der Gemeinschaft Misquiyakillo
Für die Quechua sprechenden Bauern aus Lamas ist es nicht immer einfach, die Balance zwischen dem Anbau für die eigenen Bedürfnisse und für den Markt zu finden.
Die zahlreichen Kakaoplantagen begrüßen den Besucher schon drei Kilometer vor dem Ortszentrum der Gemeinschaft von Misquiyakillo, auf spanisch “kleines süßes Wasser”. Der starke Geruch des in der Sonne trocknenden Kakaos dringt in die Häuser der indigenen Gemeinschaft mit ausgedehnten Kakaoplantagen. Die Hälfte der 78 Familien, deren Felder maximal fünf Hektar groß sind, haben den Anbau für den Eigenbedarf komplett aufgegeben und widmen sich nun ausschließlich dem Anbau von Kakao.
Oro Verde, die wichtigste Bauerngenossenschaft in Lamas, kauft den Kakao zu 2,50 US Dollar pro Kilo. Ein Hektar kann bis zu 150 Kilo pro Monat produzieren.
William Salas, der Apu oder traditioneller Anführer der Gemeinschaft, erinnert sich, dass die Großeltern bei den Gemeinschaftsversammlungen davor warnten, die Kakaoplantagen auszuweiten. Diese würden allmählich den Anbau für den Eigenbedarf verdrängen. Mittlerweile sehen zwar auch die Älteren den wirtschaftlichen Nutzen, den der Anbau von Kakao mit sich bringt. Sie warnen aber weiterhin davor, die Anbauflächen für den Eigenbedarf weiter zu verringern. Das Essen auf den Tischen der Familien müsse weiterhin gesund und “uma uma” sein, gut zubereitet, wie man auf Quechua sagt.
“Man sagt, dass das Essen vom Feld auf den Tisch und vom Tisch in den Bauch wandern muss”, erklärt Salas. “Die Älteren halten nichts davon, Nahrungsmittel auf dem Markt zu kaufen, wenn wir doch Felder haben, um dort zu säen.”

Ausbildung kostet Geld
Die Kinder brauchen neben einer gesunden Ernährung eine gute Ausbildung. Sie ist der Hauptgrund für die indigenen Quechua sprechenden Gemeinschaften, dass sie den Kakao verkaufen und vermarkten. In den Gemeinschaften gibt es – wenn überhaupt – nur Grundschulen. Daher schicken die Eltern ihre Kinder auf weiterführende Schulen in weiter entfernten Städten.
Die Hauptausgaben, die die Familien hier decken müssen, sind die Gebühren für Internetkabinen, Schulbücher und die Miete für ein Zimmer in der Stadt, damit die Kinder nicht jeden Tag lange Wege zurücklegen müssen.
“Früher hatten unsere Eltern nicht die Möglichkeit, uns eine Schulbildung zu geben. Die Mädchen durften überhaupt nicht zur Schule. Heute gehen in unserer Gemeinschaft mehr als 80% der Kinder zur Schule, Jungen und Mädchen”, erklärt Salas.
Die Auswirkungen der Abholzung
San Martín ist die Region mit der größten Abholzung in ganz Peru, laut aktuellstem Bericht des Umweltministeriums von 2014 über die Veränderung der Waldflächen. Zwischen 2010 und 2014 wurden 15.241 Hektar Wald abgeholzt.
Laut des Berichts ist einer der Hauptgründe für die Abholzung in Peru die veränderte Landnutzung durch die landwirtschaftlichen Tätigkeiten von Kleinbauern.
Natürlich spürt man auch die Auswirkungen des Klimawandels in den indigenen Gemeinschaften. “Unsere Bohnen und der Mais vertrocknen, weil die Sonne nicht mehr fortgeht”, sagt Kelly Tapuyima, Dorfbewohnerin in Misquiyakillo. Ihre fünf Kinder sind, wie der gesamte Nachwuchs von Lamas, die Hoffnung für die Älteren, dass sie Natur bewahren mögen, da diese in der Weltanschauung der Quechua – Gemeinschaften ebenso fühlt wie ein Mensch.
Gregorio Sangama ist Mitglied der Organisation Wamanwasi, die sich für die Ernährungssicherung und den Erhalt von überliefertem Wissen in den Quechua sprechenden Gemeinden einsetzt. Er beklagt, dass es mit der Monokultur von Kakao und Kaffee keinen Fruchtwechsel in den Bergen mehr gebe und dadurch die Zyklen des Bodens zerstört werden.
Angesichts der Auswirkungen des Klimawandels, die die Dorfbewohner zu spüren bekommen, wie das Versiegen der unterirdischen Wasserquellen, die der Gemeinschaft ihren Namen gegeben haben, betont Apu William Salas, dass die Dorfbewohner in Zukunft den Wald nicht mehr abholzen werden, um Kakao anzubauen. “Die Leute wollen nicht mehr Wald in den Bergen abholzen, weil wir damit nicht nur unserer Gemeinschaft schaden, sondern auch anderen Gemeinschaften, und die Tiere keine Früchte mehr zu fressen finden.”
Um die Abholzung einzudämmen, forsten sie auf Initiative von Oro Verde in Misquiyakillo mit drei verschiedenen Baumarten auf, die als Schattenspender auf den Kakaoplantagen dienen: mit dem Paripa-Baum, Capirona und Paliperro. Trotzdem gibt es Skeptiker, die diese Bäume für ungeeignet halten.
Gregorio Sangama erzählt, dass man Erfahrungen mit misslungenen Wiederaufforstungsversuchen gemacht habe. Die Bäume hatten sich nicht gut angesiedelt, weil sie nicht aus der Region waren. “Letzten Endes wird es die Bauern treffen, falls diese Bäume nicht gut gedeihen – mit verlorener Arbeit und Investitionen”, bemerkt er. Insofern sind in Misquiyakillo die Erwartungen groß bezüglich des langfristigen Nutzens für die Umwelt, die das Anpflanzen dieser Bäumen mit sich bringen wird.
Edgar Salas, der Sohn von William, erkennt mit bloßem Auge die verschiedenen Baumarten, die als Windbrecher in den Kakaoplantagen angepflanzt werden. “Das hier ist ein Paripa-Baum und das ein Paliperro”, erklärt er auf belustigt. Seine Eltern nehmen ihn an den Wochenenden mit aufs Feld, damit er bei der Saat oder Ernte hilft. So kennt er den gesamten Prozess der Verarbeitung des hausgemachten Kakaogetränks, den er in seinem Rucksack in die Schule mitnimmt. Aber Edgar weiß nicht, dass der Kakao die einzige Feldfrucht sein würde für den Konsum seiner Familie, falls die Anbauflächen für den Eigenbedarf komplett verschwinden werden, und alle anderen Produkte auf dem Markt gekauft werden müssten.
Infokasten: Kleine traditionelle Schulen
In der Gemeinde Alto Pucallpiyo pflanzen die Bewohner keinen Kakao an, weil der Boden dafür ungeeignet ist. Eine weiterführende Schule gibt es dort nicht, aber eine Grundschule. Dort unterricht Leonardo Tapullima, ein Spanisch und Quechua sprechender Lehrer, seine Schüler auf Quechua und fördert handwerkliche Kenntnisse, die den Traditionen und Lebensweisen der Gemeinschaft entsprechen. So will er den Kindern die Traditionen ihrer Quechua-Kultur bewahren.
Zu Beginn des Tages gehen die Schüler und Schülerinnen der Schule 0447 noch einmal durch, was der Bauern-Kalender, der riesengroß an einer Wand der Klasse hängt, für die landwirtschaftichen Jahreszeiten anzeigt. Das Gelernte setzen sie später bei den Arbeiten mit der Familie auf dem Feld und im Wald in die Praxis um.
“Wir wollen den Kindern eine alternative Schulbildung geben, da die offizielle Ausbildung meist außerhalb ihres Lebenskontextes steht. Die Lehrinhalte orientieren sich daran, die Erde krank zu machen und das Kind von seiner Umwelt zu trennen”, sagt Tapullima. “So wird das Wasser in den Schulbüchern des Bildungsministeriums zum Beispiel als eine Ressource beschrieben und nicht als etwas Lebendiges, wie es in der Quechua-Tradition der Fall ist.”

Autorin: Cynthia Rojas Tapia
Übersetzung: Eva Tempelmann

Der Artikel ist im Rahmen des Projektes „Junge Journalisten berichten aus dem Regenwald entstanden“. Das Projekt wurde von Comunicaciones Aliadas und Infostelle Peru e.V. durchgeführt und vom BMZ finanziert.