© Andreas Baumgart

Amazonas-Bewohner organisieren sich

Über die Nationale Versammlung zum Schutz der Flüsse und das II. peruanische Vorbereitungstreffen des Foro Social Panamazónico im Oktober 2019 in Satipo.

Mitte Oktober hatte ich auf Einladung der NGO „Forum Solidaridad” die Gelegenheit, an zwei so bedeutenden wie spannenden Ereignissen in der kleinen Stadt Satipo in der Region Junin teilnehmen zu können. Verglichen mit Städten wie Pucallpa, Tingo Maria oder Iquitos, ist der Ort ein geradezu ruhiges, verkehrsarmes Fleckchen Erde, inmitten einer charakterlosen, trister Wildwuchs-Architektur, in der jedoch noch viel Grün erhalten ist. Der Ort ist von bewaldeten Hügeln umgeben, auf denen an zahlreichen Stellen der übliche Kahlschlag und die Ausdünnung der Wälder nicht zu übersehen sind. Satipo liegt in einem Tal am Fluss Satipo. Rund um die Stadt, im Landesinnern und teilweise entlang an der Bundesstraße entlang sieht man noch die typischen Malocas, Gebäude aus Holz und Strohdach.

Die Anreise nach Satipo ist etwas beschwerlich. Von Lima aus gibt es die Möglichkeit, per Bus bei einer Fahrzeit von ca. 12 bis 14 Stunden direkt bis Satipo zu fahren, oder  bis zur Andenstadt Jauja zu fliegen. Von Jauja geht es dann über Tarma, der Stadt des köstlichen manjar blanco, dann La Merced / Chanchamayo mit den weiten Kaffee-Anbaugebieten bis nach Satipo, in mehreren Colectivos oder mit Regionalbussen. Die landschaftlich wunderschöne Strecke führt kurvenreich von den Anden über die Ceja de Selva bis zu deren Ausläufer im Tiefland. Dabei werden alle Vegetationsstufen durchfahren.

Die Wahl Satipos als Tagungsort war in mehrerlei Hinsicht symbolisch:

  1. In der Region leben die alteingesessenen Asháninka, die in Peru offiziell zu den „Indigenen und ursprünglichen Völkern“ (Pueblos indígenas u originarios) gezählt werden. Seit der Kolonisierung der ceja de selva und des Tieflands müssen sie sich gegen die Eindringlinge zur Wehr setzten, die ihnen das Land rauben, die Wälder abholzen, Plantagen anlegen, Rohstoffe fördern und große Gebiete urbanisieren. Von dem großen monetären Reichtum, den dieser „Fortschritt” erzeugt hat und noch erzeugt, fällt wenig für sie ab. Im Gegenteil, neben dem minimalen Anteil am monetären Ertrag zerstört diese Kolonisierung ihre ursprüngliche Lebensgrundlagen und zwingt sie zu einem Leben in Armut, Vereinzelung und Marktorientierung. Gleichzeitig ist das Leben von rassistischer Diskriminierung und Ausgrenzung geprägt. Immer wieder haben sich die ursprünglichen Gemeinschaften unter großen Opfern dagegen zur Wehr gesetzt.
  2. Ab dem Jahr 1984 begann die Invasion der Terrororganisation Sendero Luminoso (SL) und später der MRTA. Beide Organisationen bekämpften sich militärisch um die Hoheit über die Region. Auch in den Konflikt hineingezogene Asháninka-Gemeinden bekämpften sich untereinander. Die Bevölkerung in den betroffenen Regionen wurde jahrelang durch SL, MRTA, Sinchis, Armee, Rondas (Zivile Verteidigungsgruppen) und Polizei drangsaliert, terrorisiert und Menschen waren zur Flucht gezwungen. Die Wahrheitskommission hat folgende Bilanz für die Selva Central gezogen: Zwischen 10.000 und 15.000 Asháninka wurden zwangsweise umgesiedelt. 5.000 waren zeitweilig gefangen in Unterstützungslagern von Sendero Luminoso, 6.000 Menschen kamen uns Leben. Noch heute gelten 600 Menschen als verschwunden. Zwischen 30 und 40 indigene Gemeinden existieren heute nicht mehr. Die Zwangsrekrutierung junger Männer, Kindersoldaten und sexuelle Gewalt an Frauen und Kindern gehörten zur Kriegsstrategie. SL und MRTA wurden in erster Linie durch die lokale Bevölkerung, die Rondas und Comités de Autodefensa (CAD) besiegt.

Der Krieg und dessen Folgen führten zu einem relativ hohen Organisationsgrad der Betroffenen. Die in mehrfacher Hinsicht besonders betroffenen Frauen organisierten sich zunächst in vorhandenen Verbänden und nach Ende des Krieges gründeten sie eigene Frauenorganisationen wie z.B. die Federación de Mujeres Asháninkas Nomatsiguenga y Kakinte FREMANK. Während des militärischen Konflikts haben sie die leitenden und koordinierenden Funktionen übernommen und für das Überleben der Gemeinden und Familien gesorgt. Wie so häufig, haben die Männer nach dem Krieg schnell die zentralen Rollen der Frauen vergessen und versucht, die „alte Ordnung“ wiederherzustellen. Anerkennung und Emanzipation zu erreichen, bleibt ein hürdenreicher Kampf der Frauen. „Die (Ehrung) der Fremank ist eine Homage an sie selber, an die Frauen der Asháninka, Nomatsiguengas und Kakintes, die jetzt wissen, wie man kämpft und wie man siegt“, schreibt Luzmila Chiricente Mahuanca, eine bekannte und mehrfach geehrte Aktivistin und Führerin der Asháninka. Die Region Satipo steht so für diesen historischen Widerstand und den hohen Organisationsgrad, den sie in diesen Auseinandersetzungen erreicht und bis heute erweitert haben.

  1. 2019 war das Jahr der großen Brände, die sich in bisher nicht gekanntem Ausmaß über riesige Territorien des Amazonas ausbreiteten und die Lebensgrundlagen indigener Einwohner*innen in Ländern wie Brasilien, Peru, Bolivien und Kolumbien in einem bisher nicht gekannten Ausmaß beeinträchtigt und/oder zerstört haben. Hinzu kommen die Vergiftung der Flüsse und großer Wald- und Anbaugebiete durch die Gold-, Erdöl- und Gasförderung als auch die Abholzung und massive Ausdehnung von Monokulturen.
    Foto: Andreas Baumgart

Die Wahl Satipos als Austragungsort der beiden bedeutsamen Konferenzen hat ein starkes Zeichen für den Kampf gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen im Amazonas und für das Überleben der indigenen Gemeinschaften sowie deren Selbstorganisation mit regionaler, nationaler und internationaler Unterstützung gesetzt.

 

Die „Nationale Versammlung zum Schutz der Flüsse“ – „Encuentro Nacional de Protección de Ríos“

Am 15. und 16. Oktober fand die „Nationale Versammlung vom Schutz der Flüsse“ im Lokal der Landwirtschaftskooperative der Kaffeeproduzenten im Zentrum Satipos statt. Sie wurde von der Initiativgruppe „Grupo Nacional de Protección de Rios“ ausgerichtet, die von den NGOs CAAAP (Centro Amazónico de Antropología y Aplicación Práctica), Forum Solidaridad, CooperAcción, Mocicc (Movimiento Ciudadano frente al Cambio Climático) und Red Muqui gebildet wird. Der Ablauf und die Durchführung wurden von Forum Solidaridad bewerkstelligt, dessen Direktor Rómulo Torres auf Einladung der Informationsstelle Peru e.V. im April und Mai 2019 eine Vortragsreise in Deutschland durchgeführt hatte. (https://www.infostelle-peru.de/web/2-16-mai-verschiedene-staedte-soziale-bewegungen-in-peru/). 40 Delegierte aus Costa, Sierra und Selva haben zusammengefunden, wobei die größte Anzahl an weiblichen und männlichen Delegierten aus indigenen Gemeinden des Amazonasgebiet kamen. Einige von ihnen mussten für ihre Teilnahme enorm beschwerliche Reisen in Kanu, Bus und Flug auf sich nehmen, teilweise bis zu 36 Stunden Reisezeit. Auch ökonomisch war es trotz Teilförderung eine große Anstrengung. Dies war auch der wesentliche Grund, die beiden Versammlungen terminlich auf dieselbe Woche in Satipo zu legen, da zahlreiche Delegierte an beiden Konferenzen teilnehmen wollten und sollten.

Das oberste Ziel der Versammlung war die Erstellung eines „nationalen Programms zum Schutz der Flüsse“ und die Planung gemeinsam abgestimmter praktischer Schritte durch die anwesenden „Verteidiger*innen der Flüsse“ aus den bedeutendsten Flussbecken des Landes. Daher nahmen auch einige Vertreter*innen aus verschiedenen andinen Regionen teil, in denen zahlreiche Amazonasflüsse ihren Ursprung haben. Ein gewichtiger Anteil an Flussverschmutzung wird durch die Minengebiete im Hochland verursacht. Im Detail sollten folgende Themen behandelt und soweit möglich, umgesetzt werden:

  • eine Kartografierung der größten Probleme und die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen aus 18 repräsentativen Orten der Anden und des Amazonas;
  • davon ausgehend die Schlüsselfaktoren für gemeinsames Handeln festlegen;
  • ein Netzwerk für nationale Zusammenarbeit gründen;
  • das Netzwerk der Öffentlichkeit und den staatlichen Institutionen bekannt machen und
  • einen Gesetzesentwurf diskutieren und abstimmen.

Trotz widriger Umstände wie dem großen Lärm aus den Büros der Kooperative und des Straßenverkehrs sowie der vom Klimawandel bedingten ungewöhnlichen Hitzewelle wurde eine intensive, disziplinierte und angeregte Veranstaltung durchgeführt, in der sich Plena und Arbeitsgruppen abwechselten. Bei gemeinsamen Mittag- und Abendessen gab es viele Gelegenheiten, mit einzelnen Personen intensiver ins Gespräch zu kommen und auch „Informelles“ zu erfahren. Satipo hat auch, als Region des (angeblich) besten Kaffees Perus, neben den einschlägigen Fastfood-Ketten und einfachen Restaurants, einige sehr schöne Cafés und Locations zu bieten, in denen man auch in ruhigerer, angenehmer Atmosphäre bis spät in der Nacht Gespräche führen kann. Die Versammlung war ein großer Erfolg und ich hatte den Eindruck, dass trotz der deutlichen Präsenz von NGOs mit Sitz in Lima die unmittelbar Betroffenen ihre Anliegen ausgiebig vorbringen konnten und dass im Großen und Ganzen auf Augenhöhe intensiv gearbeitet und diskutiert wurde.

Wodurch die Flüsse kontaminiert werden, darüber haben wir schon häufig berichtet. Ich möchte daher drei Probleme vorstellen, die von den Delegierten in den Arbeitsgruppen angesprochen wurden und bisher weniger bekannt sind:

  1. Das Problem mit den Konservendosen. Eine Delegierte berichtete, dass immer mehr ungeöffnete Dosen zu Geschossen werden, die zu tausenden mit der Strömung in den Flüssen treiben und badende Kinder, fischende Erwachsene, Flusstiere und Fische akut gefährden. Woher stammen sie? Aufgrund der andauernden Vergiftung der Flüsse können sich die indigenen Gemeinschaften immer seltener von dem ursprünglichen Reichtum der Flüsse ernähren. Das Wasser lässt sich nicht trinken und die Bewässerung der Felder damit vergiftet die Nahrung. Die Folgen sind Hunger, Mangelernährung und Krankheiten. 2014 litten 60% der Kinder im Amazonas unter Anämie, die weiterhin rasch zunimmt. (http://red.pucp.edu.pe/ridei/noticias/amazonia-el-rostro-de-tu-olvido-es-la-desnutricion-y-anemia/) Um dem Problem (vermeintlich) zu begegnen, lässt die Regierung im Rahmen von Hilfsprogrammen massenweise Dosennahrung ankarren und verteilen. Es geht dabei ausschließlich um die Erfüllung von in Lima festgelegten Quoten. Ob diese Nahrungsmittel für die Empfänger*innen geeignet sind, spielt dabei keine Rolle. Menschen, die bislang von Pflanzen und selbst angebauten Nahrungsmitteln gelebt haben, vertragen diese Nahrung nicht. Besonders Kinder erkranken regelmäßig. Da es keinerlei Entsorgungssysteme gibt, werfen die Menschen und zuständigen Verteilerstationen die ungebrauchten und überflüssigen Dosen einfach in die Flüsse, wo sie mittlerweile zu einer ernsten Bedrohung geworden sind.
  2. Mangelndes Umweltbewusstsein. Der Kampf mit dem Öl aus beschädigten Pipelines, Förderstationen und den Goldsuchern, die in großem Umfang die Lebensgrundlagen zerstören, ist existenziell. Aber wie einige Delegierte berichteten, gibt es ernsthafte „hausgemachte“ Probleme mit dem stetig zunehmenden Müll, der aus unterschiedlichen Gründen in die Gemeinden gelangt. Er stellt eine ernste Gesundheitsgefahr für das Gemeindeleben dar. Neben dem Plastik- und Verpackungsmüll wächst auch der Giftmüll stetig. Öle, Treibstoffe für Motoren, Quecksilber von der eigenen illegalen Goldförderung, Reinigungsmittel, Reste von verwendeten Pestiziden und Insektiziden, Elektroschrott und unzählige Batterien, die für Lampen und Elektrogeräte aller Art verwendet werden, enden verstreut rund um die Häuser oder landen in den Gewässern. Reifen, Giftmüll und Plastikreste werden sogar von einigen Gemeindemitgliedern vor der Haustüre verbrannt und verpesten das Dorf. Wie die Delegierten berichteten, ist ein dementsprechendes Umweltbewusstsein kaum vorhanden (eine Problematik, die auf die große Mehrheit der peruanischen Bevölkerung zutrifft). Zudem fehlen Kenntnisse über die Gefahren und Zusammenhänge. Erst nach und nach entsteht, insbesondere auf Betreiben von engagierten Mitgliedern, Guardianes, Defensores und Defensoras de Rios, Apus und Gemeinderät*innen aus den Gemeinden selbst sowie NGOs und einigen wenigen, engagierten Behördenmitarbeiter*innen, ein stärkeres Bewusstsein für diese Problematik. Wo dann tatsächlich nach Lösungen gesucht wird, mangelt es jedoch an der Unterstützung durch die Rathäuser und Regionalregierungen. Gefährlichen Müll zu sammeln und über Flüsse oder Pfade zu den bisher noch raren Sammelstellen zu transportieren, ist sowohl aufwändig als auch gefährlich. Das geht nicht ohne logistische und technische Unterstützung. Abschließend wurden die Wünsche formuliert, dass Kenntnisse über die Umwelt und die heimische Fauna und Flora Inhalt des Schulunterrichts werden müssten, dass Gemeindemitglieder und Lehrer*innen geschult und praktische Strukturen für die Müllbeseitigung geschaffen werden.
    Foto: Andreas Baumgart
  3.  
  4. In einer Arbeitsgruppe wurde darüber berichtet, wie die Ölfirmen in Zusammenarbeit mit Behörden und Polizei größere Ölunfälle vertuschen. Wenn in Folge eines Ölaustritts ein Ölteppich den Fluss entlangtreibt, melden die Einwohner*innen dies sofort den zuständigen Behörden und der Polizei. Diese erscheinen allerdings nicht. Dafür tauchen in kürzester Zeit Mitarbeiter*innen der Ölfirma auf, sei es in Booten oder Hubschraubern und streuen Chemikalien auf das Öl. Dadurch löst sich der Teppich auf und das Öl versinkt unter der Oberfläche. Es setzt sich mit samt der Chemikalien auf dem Boden des Flusses ab und schädigt unwiderruflich die Unterwasserflora. Nachdem das Öl „verschwunden“ ist, tauchen Polizei und zuständige Behördenmitarbeiter*innen auf und behaupten sogleich, dass es keine Ölverschmutzung gegeben habe. Mehr noch, sie bezichtigen die Anwohner*innen der Lüge und drohen mit entsprechenden Anzeigen, wenn sie nochmal „umsonst“ gerufen würden.

Die Versammlung endete mit einer gemeinsamen Erklärung, einem Gruppenfoto und einer Pressekonferenz, die erstaunlich gut durch Reporter*inne der Regionalzeitungen und Radiostationen besucht war.

 

II PreFospa Perú en Satipo (Fospa: Foro Social Panamazónico)

Foto: Andreas Baumgart

Im Anschluss an den Encuentro Nacional de Protección de los Ríos fand dann am 17. und 18. Oktober das peruanische Vorbereitungstreffen für das große IX FOSPA-Treffen vom 22. bis 25. März 2020 in Mocoa, Kolumbien, statt. Zahlreiche Delegierte des ersten Treffens waren unter den Teilnehmer*innen. Das Treffen wurde von CAAAP (Centro Amazónico de Antropología y Aplicación Práctica) mit Unterstützung anderer NGOs wie Mocicc, Red Muqui, Forum Solidaridad und einigen regionalen Institutionen, Vertreter*innen indigener Organisationen und Behörden vorbereitet und durchgeführt. Etwa 200 Delegierte haben an den beiden Tagen teilgenommen und es zu einem repräsentativen Ereignis gemacht.

Diese Versammlung fand außerhalb Satipos in Rio Negro in der im Grünen idyllisch gelegenen „Universidad Nacional Intercultural de la Selva Central Juan Santos Atahualpa” statt. Die Teilnehmer*innen wurden an diesem ziemlich abgelegenen Ort durch eine Frauengruppe der „Comunidad Nativa Arizona Portillo“, an deren Gemeinde die Universität angrenzt, mit Mahlzeiten und Getränken versorgt. (Anm.des Korrekturlesers: typische Rollenverteilung)

In Plena und Arbeitsgruppen wurden praktisch alle Aspekte rund um die zentralen Themen Klimawandel, Territorium, Gutes Leben, Autonome Regierung, Selbstbestimmung, Identitäten im Amazonas, sowie Frauenrechte vorgestellt, diskutiert und entsprechende Zusammenfassungen und Anträge in den Plena präsentiert.

Hier eine lose Sammlung von einigen der Schlussfolgerungen und Forderungen, die im Verlauf der beiden Tage artikuliert wurden:

  • Änderung des ökonomischen Modells des Neoliberalismus;
  • Neugründung des peruanischen Staats;
  • die Sicherheit der integralen Territorien garantieren und autonome indigene Regierungen gründen;
  • die Institutionalisierung der Indigenen Vertretungen durchsetzen, u.a. durch die Einführung eines autonomen Ministeriums für Indigene Völker, mit eigenem Haushalt und effektiver Beteiligung ihrer Organisationen und Repräsentanten;
  • Bekämpfung des Klimawandels;
  • Verhinderung des Megaprojekts der „Hidrovía Amazónica“, das im Rahmen des stark umstrittenen „Plan Nacional de Infraestructura para la Competitividad“ der Regierung umgesetzt werden soll. Es sieht die Schiffbarmachung mehrerer großer Flüsse durch Vertiefung, Begradigung und Verbreiterung sowie den Bau und die Erweiterung von Hafenanlagen vor und würde den Lebensraum der meisten indigenen Gemeinschaften des Amazonasgebiets unwiederbringlich zerstören;
  • der Korruption und Kriminalisierung der indigenen Proteste ein Ende setzen;
  • der weit verbreiteten Gewalt gegen Frauen im Amazonas ein Ende bereiten;
  • dem politischen und religiösen Fundamentalismus entgegentreten, der andere Weltanschauungen nicht toleriert;
  • einen zivilgesellschaftlichen Prozess in Gang setzen, der die individuellen und kollektiven Rechte der indigenen Völker befördert;
  • die Ernährungssouveränität durch den Schutz der einheimischen Samen, Lebensmittel und Naturmedizin befördern;
  • das Wissen und die Praxen der Vorfahren retten, systematisieren und zugänglich machen;
  • effektive Maßnahmen gegen die illegale Holzfällerei, Jagd, Fischerei, Rohstoffförderung, Drogenproduktion sowie dem Handel mit Kindern, Jugendlichen zu deren sexueller Ausbeutung durchführen;
  • die „Consulta Popular“ (Bürgerbefragung) muss bei allen Vorhaben gewährleistet werden, die die Betroffenen in Mitleidenschaft ziehen können. Allerdings muss die Consulta schon in der Projektplanung stattfinden und mit einer konsensualer Lösungsfindung einhergehen. Die Consultas Populares müssen die tatsächlich Betroffenen einbeziehen und nicht mit symbolischen, fiktiven, bestellten und bezahlten Teilnehmer*innen durchgeführt werden.

Auch hier möchte ich zwei Themen vorstellen, die in Arbeitsgruppen behandelt wurden und vielleicht nicht allen gleichermaßen bekannt sind:

  1. Die Rechte der Frauen des Amazonasgebiets. Innerhalb der indigenen Gemeinden ist Gewalt gegen Frauen stark verbreitet. Inwieweit dies traditionsbedingt oder erst durch die teilweise Einbindung in die Marktwirtschaft gekommen ist, die mit der Invasion durch Kolonisten aus den Anden, der Küste und aus einigen europäischen Ländern im vorletzten Jahrhundert einherging, kann ich nicht beurteilen. Insbesondere konservative evangelikale Sekten verbreiten schon seit vielen Jahrzehnten ihr Gift in indigenen Gemeinschaften. Studien dazu sind sehr widersprüchlich und (rück-)projizieren häufig heutige bürgerliche Verhältnisse in die Vergangenheit. Eher herrscht Konsens darüber, dass in nahezu allen indigenen Gemeinschaften des Amazonas Frauen nicht in die gemeinschaftlichen Entscheidungen einbezogen waren. Auch sind es eher Männer, die nach Aussagen einiger Teilnehmerinnen die traditionellen Rivalitäten zwischen verschiedenen Gemeinschaften und Ethnien fortschreiben und austragen.
Foto: Andreas Baumgart

Mich hat daher die starke Beteiligung der Frauen beeindruckt, die zeitweise zahlenmäßig in der Mehrheit waren. Wie oben schon erwähnt, sind indigene Frauen in mehreren Regionen des Amazonas gut organisiert und bei wichtigen regionalen, nationalen und internationalen Ereignissen präsent.

Am Abend des ersten Tages wurde ein Frauentribunal abgehalten, das sich mit zwei Fällen befasste: Der Kontamination mit Schwermetallen und der oben angesprochenen „Hidrovía Amazónica“. Am darauffolgenden Vormittag wurde in Anwesenheit zahlreicher Frauen und einigen Männern das Urteil verkündet. Ab 11.00 Uhr tagten parallel im großen Saal drei Arbeitsgruppen. Ich hatte mich der Gruppe mit dem Thema „Autonome Regierung und Selbstbestimmung“ angeschlossen. Es ging sehr lebhaft zu. Plötzlich wurde es neben uns richtig laut. In der Gruppe „Rechte der Frauen des Amazonas“ waren Männer und Frauen aneinandergeraten. Kurze Zeit später verließen alle Männer die Gruppe und entfernten sich ins Freie, um dort als eigenständige Männergruppe weiter zu tagen. Das hat mein Interesse geweckt, so dass ich mich zur kleinen Männergruppe hinzugesellte. Beide „Parteien“ hatten beschlossen, getrennt zu arbeiten und ihre Ergebnisse dann nochmals gemeinsam in der großen Gruppe vorzustellen. Nun, die Männer beklagten sich in unterschiedlichem Maß über die Frauenemanzipation anhand zahlreicher Konflikte, die sie mit ihren Ehefrauen oder Partnerinnen aus ihrer Sicht erlebten. Dabei wurde deutlich, wie machistisch und traditionell deren Frauen- bzw. Männerbild ist. Unisono beklagten sie den Verlust ihrer Autorität. Einige rangen sich das eine oder andere kleinere Zugeständnis ab. Auffällig war die Argumentation einiger indigener Delegierter, die offenbar stark evangelikal beeinflusst waren. Sie argumentierten mit der Bibel. Ein besonders zorniger Mann, der mir ein Pastor zu sein schien, zitierte auswendig einschlägige Bibelstellen als Beleg für die Unterordnung der Frau. Dass es zur Trennung der Arbeitsgruppe kommen musste, war offensichtlich. Es ist noch ein weiter konfliktreicher Weg, bis sich ein anderes Rollenbild und andere Verhältnisse in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen durchsetzt. Wenn überhaupt. Sowohl regional, national als auch international erleben wir derzeit eine Offensive der machistischen und rollenkonservativen Ideologien.

  1. Die autonome territoriale Regierung der Nation Wampis (Gobierno Territorial Autónomo de la Nación Wampis). In der AG „Autonome Regierungen, Selbstbestimmung und Identitäten im Amazonas” stellten die beiden Delegierten Julio Inojoza und Noe Aujtukai Yacum von den Wampi (Huambisas) und Awajun (Aguaruna) die Funktion und Bedeutung der ersten autonomen Regierung im peruanischen Amazonas vor. 60 Gemeinden mit etwa 15.000 Einwohner*innen der Wampi leben in einem Gebiet im nördlichen Amazonas an der Grenze zu Ecuador, das nur wenig kleiner als Schleswig-Holstein ist. Gleichzeitig streben weitere Nationen im Norden Perus wie die Awajun (Gobierno Autónomo del Pueblo Tajimat Awajún), Achuar, Kandoshi, Shapra und Shiwilo autonome Regierungen an, die am Ende in der Konsolidierung eines gemeinsamen integralen autonomen Territoriums und dessen juristische Anerkennung münden soll.

Die Wampis haben Ende 2015 eine autonome Regierung ins Leben gerufen, nachdem sie seit Jahrzehnten mit der Situation konfrontiert sind, dass sich die nationalen und regionalen Regierungen weder an geltendes nationales und internationales Recht halten, noch die Interessen der Indigenen schützen oder gar vertreten. Dies wurde besonders im Juni 2009 deutlich, als es im Kontext des jahrelang schon schwelenden Konflikts um die Ölförderung von Petro Perú und der Maßnahmen der Regierung zur Vorbereitung des Freihandelsabkommens Perus mit den USA zu schweren Auseinandersetzungen kam. Die Regierung setzte sich über die elementaren Rechte aus dem Abkommen 169 der internationalen Arbeitsorganisation OIT hinweg, die sie zu Konsultationen mit betroffenen Bevölkerungen zwingt. Bei einem Räumungsversuch von 5.000 Wampi, Awajun und anderen ländlichen wie städtischen Bewohner*innen, die mehrer Wochen friedlich eine Hauptverkehrsader blockierten, kam es zum sogenannten „Baguazo“ oder „Massaker von Bagua“, bei dem 34 Menschen, darunter viele Polizist*innen während des erbitterten Widerstands und einer Geiseltötung ums Leben kamen, 100 wurden dabei verwundet.

U.a. diese bittere Erfahrung führte zur Idee der autonomen Regierung. Die Wampis setzen nun dem staatlichen einen eigenen Hoheitsanspruch entgegen. Ihre Regierung versteht sich als offizieller Adressat der Nationalregierung und regionalen Behörden. Ihre Gründung markiert einen Wendepunkt von der Verteidigung und reinen Defensive hin zur Selbstbestimmung und hoheitlichen Verantwortung in der Region. Die Wampis sind sich dessen bewusst, dass sie nicht mehr isoliert leben können und streben dies auch nicht an. Sie wollen die positiven Errungenschaften der Marktwirtschaft nutzen und versuchen, möglichst konfliktfrei mit anderen Kulturen zusammen zu leben. Der peruanische Staat wird anerkannt, die Bewohner*innen verstehen sich als peruanische Staatsbürger mit mehreren Identitäten und es wird ein positives Verhältnis zu den staatlichen Behörden, der Armee und der Polizei angestrebt.

Ziele der autonomen Regierung sind

  • Schutzmechanismen für den Erhalt der Wälder und Stärkung der Biodiversität;
  • eigenständige Verwaltung der natürlichen Ressourcen;
  • die Integrität des Territoriums sichern;
  • die Vorstellungen und das alte Wissen der Wampi im Dialog mit anderen Kulturen zu bewahren;
  • integrative und demokratische Werte stärken und der peruanischen Regierung entsprechende Vorschläge unterbreiten.

Die autonome Regierung arbeitet kontinuierlich an einem alternativen Entwicklungsplan und dessen Umsetzung, damit all diese Ziele gewährleisten können.

Die peruanische Regierung hat bisher kaum reagiert und sich eher desinteressiert und zurückhaltend verhalten. Regional teilweise kooperativ. Auf verfassungsmäßiger Ebene ist die autonome Regierung in Lima quasi noch nicht angekommen. Sollten sich die Bildung weiterer autonomer Regierungen im Amazonas fortsetzen, wird sich das vermutlich rasch ändern. Wenn die Zielsetzung der Regierung, den Urwald weiter zu kolonisieren, zu urbanisieren und ungebremst ökonomisch auszubeuten verstärkt auf den Anspruch auf Selbstbestimmung und Autonomie trifft, muss man in Zukunft mit wachsenden Auseinandersetzungen rechnen.

Die Versammlung wurde mit der Erklärung von Satipo „Declaración de Satipo, II Reunión Nacional FOSPA Perú 2019“ beendet, die von ca. 60 Organisationen einschließlich der Informationsstelle Peru e.V. unterzeichnet wurde. Sie kann hier in spanischer Version heruntergeladen werden: http://www.psf.org.pe/institucional/wp-content/uploads/2019/10/Descarga-Aqu%C3%AD-pdf-la-Declaraci%C3%B3n-de-Satipo.-II-PreFospa-Per%C3%BA.pdf

Gerade wurde bekannt, dass sich die Zerstoerung des brasilianischen Urwalds unter Bolsonaro 2019 verdoppelt hat. Angesichts der großen Brände, der rasch zunehmenden Ökonomisierung und Ausbeutung des Amazonas wird das IX FOSPA-Treffen vom 22. bis 25. März 2020 in Mocoa in Kolumbien das bedeutendste Forum für die betroffenen Menschen des Amazonas werden.

Zum Abschluss noch einige weiterführenden Gedanken. Auf der einen Seite kämpfen die indigenen Völker um ihr Überleben als Gemeinschaften, sind aber längst von Marktbeziehungen abhängig geworden. Geld spielt eine zunehmende Rolle, um die Existenz bestreiten zu können, und den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als ihre Produkte und Arbeitskraft meistens prekär zu verkaufen. Die jungen Menschen verlassen die Gemeinden und widmen sich den informellen Arbeiten in den weiterhin rasch wachsenden Städten. Anderseits wächst das Bewusstsein, dass wieder stärker auf familiäre Landwirtschaft, regionale Versorgung und Selbstversorgung gesetzt werden muss. Dieser Spagat stellt die große Herausforderung da.

Auf der anderen Seite geht es um den Erhalt der Lunge des Planeten. Unter den jetzigen Lebensbedingungen und herrschenden politischen und ökonomischen Verhältnissen, kann man den Indigenen und anderen Anwohner*innen des Amazonas nicht die Rettung des Amazonas aufbürden. Auch einige kleine beispielhafte Maßnahmen und Projekte werden die Zerstörung nicht aufhalten. Hier ist die Weltgesellschaft gefragt und ein Denken und Handeln in anderen Dimensionen notwendig. Die Kolonisierung und Ökonomisierung des Amazonas muss vollständig eingestellt werden. „Finger weg vom Amazonas!“ lautet die Devise. Autonome Regierungen des Amazonas müssen auch militärisch in der Lage sein, das weitere Vordringen und Zerstören zu verhindern. Die Menschen müssen, soweit sie sich nicht ausreichend aus einer ökologischen, nicht expansiven Landwirtschaft und Biodiversität versorgen können, von der Weltgemeinschaft finanziell versorgt werden. Mit anderen Worten, wir hier müssen uns mit aller Macht dafür einsetzen, dass insbesondere aus den Industrienationen der Anteil an dem Erhalt des Amazonas kommt, der dafür erforderlich ist. Vor einigen Jahren hat die ecuadorianische Regierung unter Rafael Correa der Welt einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet. Er wurde damals schmählich im Stich gelassen. Nach den verheerenden Erfahrungen von 2019 sollten wir alle in 2020 einen neuen Anlauf in diese Richtung starten!

 

Andreas Baumgart

Hamburg, 23.12. 2019

 

Satipo 2019

http://www.psf.org.pe/institucional/2019/10/lideres-articulan-red-nacional-para-defender-los-rios-y-cabeceras-de-cuenca-nota-de-prensa/

https://youtu.be/Tmq6-ES1inU

http://www.caaap.org.pe/website/

https://bit.ly/2rkRp2y

https://bit.ly/2Qh21I9

https://bit.ly/2PTuOUd

 

Autonome Regierung

http://nacionwampis.com/

https://www.nzz.ch/international/amerika/indigenes-volk-in-peru-aufruhr-im-wampis-land-ld.118229

https://soundcloud.com/conexion_vida/micro-programa-9-mezcla?in=conexion_vida/sets/territorio-integral

 

Liste der indigenen Völker Perus

https://bdpi.cultura.gob.pe/pueblos-indigenas?keys=