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Zwangssterilisierte Frauen wollen Gerechtigkeit

Und zwar seit 24 Jahren. Nun wurde ihr Prozess wieder aufgenommen.

 

Einmal mehr scheint die Justiz den Tausenden von Frauen den Rücken zu kehren, die während der zweiten Amtszeit von Alberto Fujimori zwischen 1996 und 2000 Opfer der staatlichen Politik der Zwangssterilisationen wurden. Seit 24 Jahren fordern die Opfer vom peruanischen Staat zumindest den Anschein von Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung, sowohl durch Gerichtsprozesse als auch durch Verhandlungen und Gespräche zwischen den Opferverbänden und dem Staat. Aber nichts scheint Wirkung zu zeigen.

Die ersten Untersuchungen, die die chirurgischen Eingriffe in Form von Eileiterligatur und Vasektomie ohne Zustimmung oder mit Täuschung als Methode der Familienplanung an die Öffentlichkeit gebracht haben, wurden von zivilgesellschaftlichen Organisationen durchgeführt. Es folgten Untersuchungen durch die staatliche Ombudsstelle Defensoría del Pueblo und den Kongress zwischen 1999 und 2002. Die von der Ombudsstelle erarbeiteten offiziellen Berichte haben uns die vollständigsten Informationen über das Ausmaß der Zwangssterilisationen gegeben. Sie stellen fest, dass zwischen 1996 und 2001 272.028 Frauen und 22.004 Männer sterilisiert wurden. Es ist unglaublich, dass es seit 2002 keinen offiziellen Bericht des peruanischen Staates gibt, der Rechenschaft über die Anzahl der Betroffenen und darüber abgibt, wie die Tausenden betroffenen Menschen in ihrem  Leben, ihrer Gesundheit und ihrer körperlichen Unversehrtheit und anderen Rechten beeinträchtigt wurden.

 

Ein langer Weg zur Gerechtigkeit

Dann kamen die Strafanzeigen. Der gerichtliche Weg schien und scheint immer noch der geeignete Weg zu sein, um nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch Wiedergutmachung für alle Opfer zu erreichen. Trotzdem wurden die Verfahren vor den Strafgerichten mehrfach eingestellt. Einmal im Jahr 2004 und erneut im Jahr 2009. Dann wurden angesichts der Tatsache, dass es sich um ein und dasselbe Verbrechen handelt, bei dem es viele Opfer gibt, alle Ermittlungen zusammengeführt, um nur noch eine Ermittlungsakte zu haben. Das Verfahren wurde 2011 wiedereröffnet. Die Anklage wurde geändert: Fujimori, seine ehemaligen Gesundheitsminister und andere Behörden konnten nicht mehr wegen des Verbrechens des Völkermordes angeklagt werden. Nun wurde wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen ermittelt. 2014 entschied ein Staatsanwalt, dass Fujimori und seine Minister nicht angeklagt werden können. Die Verteidigung der Opfer legte Berufung ein. 2015 wurde der Fall erneut auf Eis gelegt. Gegen diese Entscheidung wurde erneut Berufung eingelegt. Nach weiteren drei Jahren des Wartens beschloss die zuständige Staatsanwaltschaft schließlich im Jahr 2018, eine formelle Klage gegen Fujimori und andere Verantwortliche einzureichen: wegen Verbrechen gegen die Gesundheit, das Leben und die körperliche Unversehrtheit in Form von Körperverletzung mit Todesfolge, im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen.

 

Strafanzeige erst 2018

Ein schwer zu verstehender Weg war das für die Opfer, und ist es immer noch. Obwohl 2018 offiziell Strafanzeige gestellt wurde, um die Strafverfolgung einzuleiten, vergingen weitere zwei Jahre, bis die Anhörungen zur Begründung der Anklage begannen. Am 11. Januar 2021 sollte schließlich, nach mehrmaligem Verschieben, die Anklageverlesung beginnen, die direkte Begegnung zwischen den Opfern, ihrer Verteidigung und den Tätern. Die Anhörung wurde jedoch unterbrochen, weil die Justiz keine Übersetzung für die Opfer, deren Muttersprache Quechua ist, sichergestellt hatte, um ihnen zu helfen, das Geschehen in der Anhörung zu verstehen.

Nach zwei weiteren Monaten des Wartens wurde die Anhörung am 1., 2. und 3. März wieder aufgenommen. Dann sollte sie am 15. März weitergehen, wurde aber wieder ausgesetzt. Die Verzögerung ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass es mehr als 2.000 geschädigte Frauen gibt. Die hohe Anzahl an beteiligten Parteien macht den Prozess noch komplexer. Am 24. März wurde die Verhandlung wieder aufgenommen. Jetzt warten wir darauf, dass der zuständige Richter Rafael Martinez den Termin bekannt gibt, an dem die Anhörungen fortgesetzt werden.

 

In der Phase der Anklageerhebung

Das Verfahren befindet sich also gerade in der Phase der Anklageerhebung durch den zuständigen Staatsanwalt. Hier wird die juristische Einordnung der Verbrechen, die Fujimori und den übrigen Verantwortlichen vorgeworfen werden, überprüft. Eines der wichtigsten Prinzipien im Zugang zur Justiz für Opfer von Menschenrechtsverletzungen ist, dass Gerichtsverfahren nicht verzögert werden dürfen,um die Durchsetzung ihrer Rechte, die Wahrheitsfindung und mögliche Wiedergutmachung nicht zu gefährden. Es ist daher zu hoffen, dass sich diese Phase trotz der Komplexität des Falles nicht weiter verzögert und der Prozess nicht noch Jahre dauert.

 

Verzögerungen sind kein Zufall

Trotzdem und trotz der Schwere des Falles sind der fehlende politische Wille und die unzähligen gezielten Verzögerungen seitens der peruanischen Justiz offensichtlich. Es ist kein Zufall, dass seit den ersten Anschuldigungen mehr als 24 Jahre vergangen sind und der Fall bis heute nicht vollständig verfolgt wurde und sich immer noch im Stadium der Begründung der Anklage befindet, die immer wieder ausgesetzt wird. Es ist auch kein Zufall, dass es im peruanischen Fall der Zwangssterilisationen trotz der Existenz eines Registers der Opfer von Zwangssterilisationen (REVIESFO) seit 2015 nicht einmal eine Spur von staatlicher Wiedergutmachung für die Tausenden von Betroffenen gibt, die weiterhin mit den Folgen eines chirurgischen Eingriffs in ihr Leben und ihre Gesundheit leben müssen, den sie nicht wollten oder dem sie sich unter falschen Vorwänden unterzogen haben.

Wir wissen nicht, wie lange die Opfer noch warten müssen. Sie haben schon viel zu lange gewartet. Auch auf der Ebene der internationalen Rechtssprechung scheint es keine Fortschritte zu geben. 2010 wurde eine Petition bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) für einen Fall zwangssterilisierter Frauen eingereicht. Sie befindet sich immer noch im Stadium der Überprüfung der Zulässigkeit, ohne erkennbaren Fortschritt. Im Jahr 2003 wurde vor derselben IACHR eine gütliche Einigung zwischen dem peruanischen Staat und den Angehörigen von Mamérita Mestanza, einem der Todesopfer durch Sterilisierung, erzielt. Und auch hier wurde der Pflicht zur Wiedergutmachung nicht vollständig nachgekommen.

Es scheint also eine trostlose und schwierige Situation für die Tausenden von Opfern zu sein. Es gibt jedoch eine große Anzahl von organisierten Frauen, die unablässig fordern, dass der Staat sich um sie kümmert und ihre Rechte garantiert, und die trotz so vieler Jahre des Widerstands nicht nachlassen. Aber so sollte es nicht sein. Die Wiedergutmachung und der Zugang zur Justiz sollten nicht vom mächtigen Aktivismus der Opfer und der Organisationen, die sie verteidigen, abhängen, sondern von der Verantwortung des Staates für das Geschehene, und auch von den direkt Verantwortlichen, d.h. Alberto Fujimori und den Behörden, die die Urheber dieses malthusianischen Plans (Anm. der Übersetzerin: Plan zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums) waren. Man sagt, dass Gerechtigkeit, die länger dauert, weniger gerecht ist. Hoffen wir, dass dies für die Zwangssterlisationen nicht zutrifft, und dass es bald Gerechtigkeit gibt.

 

Andrea Carrasco Gil

(Justistin, Forscherin zu Gender und Menschenrechten. Mitglieder der Begleitgruppe für Entschädigungen der Opfer der Zwangssterilisierungen GREF).

 Übersetzung´: Annette Brox