© Anja Noack

Willkür – Ein Augenzeugenbericht vom Pipeline-Leck im Regenwald

Wisst ihr, was Freiheit ist? Freiheit ist es, den grossen Fluss dein Reich nennen zu können. Freiheit ist es Herr des Waldes zu sein. Freiheit ist es zu schwimmen, mit dem Kanu Fischen zu gehen und den frischen Fisch an den Ufern des Flusses zu braten. Was können wir heute unser Reich nennen?

Ich sitze mit den Kleinen der indigenen Comunidad Cuninico im Gras. Der Abend ist lau. Neben uns fliesst der Marañón, einer der beiden Geburtsflüsse des Amazonas. Die 6-jährige Feli erzählt mir mit glänzenden Augen, wie sie stundenlang geschwommen sind, im Wasser Fangen und Verstecken gespielt haben. Dann wird ihr Blick traurig und ernst. „Da war der Fluss noch nicht verseucht“ erklärt mir Syntia (10 J.).

Die beunruhigende Nachricht hatte das Team des Radio Ucamara zuvor in Nauta erreicht: neuer unkontrollierter Erdölausfluss, diesmal nahe Cuninico, Leitungsleck, verantwortlich diesesmal der staatseigene Erdölkonzern Petroperú. Staat und Petroperú lassen verkünden: die Kontaminierung sei nicht bis zum Fluss Marañon gekommen, das Wasser der umliegenden Bevölkerungen wäre sauber, die Ausflussmenge seit gering, die Situation kontrolliert und Säuberungsarbeiten im Gange. Die Verantwortung der Ausmasse will nicht übernommen werden

Syntia erzählt mir, wie sie gesehen haben, als das Erdöl in schwarzen Schlieren den Marañon runtergeflossen kam. „Den ganzen Fluss kam das runter, viel war das.“ Sie erzählt mir von den Nächten, in denen sie und ihre Geschwister nicht schlafen können, weil ihre Haut nach dem Baden so juckt und sie Ausschläge bekommt, oder weil sie Durchfall haben, Koliken, Fieber. Sie erzählt mir von ihrer Angst. Sie weiss doch, dass das Wasser sie und ihre Geschwister krank macht, aber sie müssen es trotzdem trinken, müssen trotzdem baden, sie kochen mit dem Wasser.

Syntia ist 10 Jahre alt. Ihr ernster Blick trifft mich tief, die Augen blicken zu erwachsen in die Welt. Sie erzählt mir auch von ihrem Papa, der zusammen mit anderen Männern und Jugendlichen der Comunidad Cuninico von „den Ingenieuren“ angeheuert wurde und in die schwarze Erdölmasse abtauchen mussten, um die Leitung anzuheben und so das Leck sichern zu können – ohne Schutzkleidung und ohne Information über die Folgekrankheiten. Ohne zu informieren, dass Blei krebserregend ist, Arsen das Nervensystem angreift und Barium in hoher Konzentration zum Tod führt. Die Männer und Jugendlichen arbeiteten über eine Woche in (fast) Ganzkörperkontakt mit purem Erdöl.

Die Perversität lässt mich trocken auflachen, zuerst werden Mensch, Tier, Wasser und Erde verseucht und dann hält man es nicht einmal für nötig Arbeiter zu schicken, man benutzt dieselben Menschen um das Gift wegzumachen. So behandelt Vater Staat seine Söhne.

Das Leitungsrohrohr liegt in einem Flussarm. Wir  wurden zum Ort geführt, um dokumentalisieren zu können. Je näher wir kommen, desto mehr Erdöl ist auszumachen, die letzten Kilometer trägt der Flussarm kein Wasser mehr, pures Erdöl. Auch die Erde ist gezeichnet, die Bäume. Man kann an den Baumstämmen ausmachen, wie hoch das Wasser der Regenzeit gestiegen war, als es zum Leck kam. Schwarz bis auf c.a 1,5 Meter Höhe. Was passiert, wenn nun in einem Monat wieder die Regenzeit anfängt?

Langsam durch Gespräche und in Besuchen weiterer 8 Comunidades, flussauf- und abwärts werden uns die Ausmasse klar. Alle besuchten Orte zeigen die selben Krankheitsymptome auf,  man erzählt uns von toten Fischen und Ernährungsproblemen. Die Verantwortlichen wollen den Menschen nicht zuhören, besuchen die Orte nicht. Sie wollen nicht verstehen, dass die Fische auch flussaufwärts wandern, wollen nicht verstehen, dass die fischreichen Flussarme und Seen alle mit der  betroffene Zone verbunden sind und die umliegenden Gemeinschaften nun nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern auch ihre Wirtschaft, ihren Markt verloren haben.

Wer entschädigt die Fischer für die jahrelange Arbeit, die sie nicht verrichten können?

„Wir sehen jetzt, dass die Pflanzen nicht mehr produzieren. Und warum? Die Vorkommnisse wiederholen sich. Wir sprechen nicht von einer Verseuchung, wir sprechen von Kontaminierung von über 40 Jahren. Wir konnten produzieren, auch wenn wir überschwemmt wurden, wir hatten eine Lebensgrundlage. Jetzt wächst der Reis schwarz, Maniok, Bananen, alles wächst schwarz und produziert nicht. Die Erde ist vergiftet.“ Isabele Murayari Ipushima, 37, Leoncio Prado

Im Gespräch mit den Müttern merke ich, dass die Anspannung gross ist, ich spüre Wut, ich spüre Verzweiflung, ich spüre Ohnmacht. Was kann man als Mutter gegen den Staatsapperat und die Macht der Erdölindustrie ausrichten? Die Mütter sind zutief verzweifelt, sie wissen nicht was den Kleinen die Zukunft beschert, wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen…

Wie erklärt man seinen Kindern…?

Wie erklärt man, dass trotzdem das Wasser aus dem Fluss getrunken werden muss, (mangels Alternativen) obwohl es doch Bauchweh macht, Durchfall und der Ausschlag so dolle juckt?

Wie erklärt man, dass Papa ohne leckeren Fisch nach Hause kommt? Toten Fisch hat er gefangen, Boas, Krokodile, alle tot mit Bäuchen schwarz voll Erdöl.

Wie soll man seinen Kindern erklären, dass es wegen Unverantwortlichkeit und Missachtung von Territoriumsrechten durch Regierung und Konzern heute nichts zu essen gibt, dass Wasser, Felder und Fische sind verseucht?

Wie erklärt man, dass sich keiner um die Menschen kümmert, obwohl hinter der Unverantwortlichkeit ein milliardenschwerer Konzern steht und in den Nachrichten die Regierung mit Wirtschaftswachstum und der Finanzlage Perus protzt?

Wie erklärt man seinen Kindern, dass sich keiner um sie kümmert, weil es nur Indios sind?


Von Anja Melanie Noack, 19 Jahre, seit August 2013 weltwärts-Freiwillige des Welthauses Bielefeld bei Radio Ucamara, Nauta, Loreto

Nachtrag der Redaktion: Die Erdölleitung riss Ende Juni 2014. Der staatliche Erdölkonzern Petroperu musste auf Druck der Öffentlichkeit das Ausmass der Verschmutzung zugeben und wechselte zwar seinen Vorstand aus. Die Aufräumarbeiten vor Ort kommen langsam voran.