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Warum Deutschland die ILO-Konvention nicht unterzeichnet

Peru hat die ILO-Konvention zum Schutz indigener Völker bereits vor sieben Jahren unterzeichnet. Deutschland bis heute noch nicht.
Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) wurde bereits 1989 gemeinsam mit Vertretern indigener Völker abgefasst und anschließend verabschiedet. Als einzige völkerrechtlich bindende Norm über eingeborene und in Stämmen lebende Völker stellt sie die derzeitige Grundlage für deren Schutz dar. Sie beinhaltet unter anderem Artikel über die vollständige Gewährleistung der Menschenrechte, die Gleichheit vor Justiz und Verwaltung, über die Rechte auf kulturelle Identität und Traditionen, politische Partizipation und die Gestaltung der eigenen Zukunft, auf Land mitsamt dessen Ressourcen, auf Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen und auf Ausbildung und Zugang zu Kommunikationsmitteln.

Bislang wurde die ILO-Konvention 169 von 23 Staaten ratifiziert, darunter bisher nur fünf europäische: Norwegen (1990), Dänemark (1996), die Niederlande (1998), Spanien (2007) und unlängst Luxemburg (2018).
In den vergangenen Legislaturperioden wurden immer wieder Anträge zur Ratifizierung der Konvention in den Deutschen Bundestag eingebracht, meist von den Parteien Bündnis 90/Die Grünen und der SPD, wobei die Linke die Vorhaben in Abstimmungen und Statements immer unterstützt hat. Hauptargument einiger Parteien gegen die deutsche Unterzeichnung ist, deutsche Unternehmen vor Haftungs- und Prozessrisiken bei Verstößen gegen die Konvention zu schützen. Derzeit ist es allerdings nicht möglich, deutsche Unternehmen, die in Entwicklungsländern gegen die ILO-Konvention verstoßen, in Deutschland dafür zu belangen. Obwohl das Leitprinzip 15 der Vereinten Nationen wirtschaftliche Unternehmen dazu anhält, sich grundsätzlich der Achtung der Menschenrechte zu verpflichten, und appelliert an die UN-Mitgliedsstaaten, ein Verfahren zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten einzuführen.

Im Vergleich zu seinen Nachbarländern ist Deutschland weit abgeschlagen, wenn es um gesetzliche Regelungen zu menschenrechtlicher Sorgfalt von Unternehmen geht: In Frankreich und Großbritannien existieren bereits Gesetze, die Unternehmen im kompletten Produktionsprozess dazu verpflichten, die Menschenrechte zu schützen; die Niederlande sind dabei, eine Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf Kinderarbeit zu verabschieden; in der Schweiz ist eine Verfassungsänderung hinsichtlich einer Sorgfaltspflicht auf den Weg gebracht worden, über die zum Ende des kommenden Jahres abgestimmt werden soll; sogar das Europäische Parlament strebt nach einer generellen Sorgfaltsprüfungspflicht auf EU-Ebene. Amnesty International, Germanwatch, Brot für die Welt und Oxfam haben bereits ein 80-seitiges Gutachten erstellen lassen, welches die Möglichkeiten der Einführung einer Sorgfaltspflicht in Deutschland darstellt.

Dieses Mal sind die Aussichten auf Ratifizierung besser: Erstmals steht nun in einem Koalitionsvertrag, dass die regierenden Parteien die Ratifikation der ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker anstreben. Die Infostelle Peru begrüßt die Bemühungen der regierenden Parteien. Im Rahmen des Koordinationskreises ILO-169, einer Aktionsgruppe zahlreicher deutscher Institutionen, die sich für den Schutz der Menschenrechte, explizit indigener Völker, einsetzen, beteiligt sich die Infostelle aktiv an einer Kampagne, an deren Ende durch Bewusstseinsbildung und Lobbyarbeit die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch Deutschland stehen soll.

Für die Ratifizierung der Konvention 169 sprechen einige Punkte. Unter anderem ist es erforderlich, die traditionell lebenden Gemeinschaften, die überall auf der Welt verteilt sind, besonders zu schützen. Es gilt, ihr über Jahrhunderte erworbenes Wissen, auf kultureller wie auch wissenschaftlicher Ebene, zu schützen und vor dem Vergessen zu bewahren. Zurzeit dringen häufig große Unternehmen in die Territorien der indigenen Gemeinschaften ein auf der Suche nach Rohstoffen, Energierohstoffen und vielem mehr. Sie gefährden und zerstören damit deren Lebensraum – und das, in den leicht korrumpierbaren Staaten Lateinamerikas, meist mit der Zustimmung der örtlichen Behörden. Durch Großprojekte wie etwa Staudamm-Bauten oder Bergbau kommt es sehr oft zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Indigenen. Die ILO-Konvention 169 kann helfen, diesen eine Stimme und Möglichkeiten zu geben, sich gegen diese Menschenrechtsverletzungen zu wehren. Dies kann zum Beispiel durch die in der Konvention vorgeschriebene Verpflichtung zu einem sogenannten consimiento libre, previo e informado geschehen, welche Eingriffe in die Einzugsgebiete Indigener nur unter vorhergehender Konsultation und Zustimmung der betroffenen Populationen zulassen.

Ein weiteres, starkes Argument für die ILO-Konvention ist die aktuelle Klimawandel-Problematik, da das traditionelle Wirtschaften der Indigenen auf den Erhalt der natürlichen Umwelt ausgerichtet ist. Im Einklang mit ihrer Umwelt verwenden die Indigenen Völker nur gerade so viel, wie sie für sich zum Leben benötigen. Mit diesem Verhalten tragen sie, beispielweise in den Regenwäldern Amazoniens, aktiv zu dem Erhalt dieser wichtigen Quelle des Lebens auf dem Planeten Erde bei.
Da bisher nur 23 Staaten weltweit, die meisten davon in Lateinamerika, die Konvention 169 ratifiziert und in nationales Recht umgewandelt haben, fehlt es ihr bislang an Stärke. Teilweise beruft sich Deutschland, obwohl es die Konvention nicht ratifiziert hat, auf diese, wie beispielsweise in der Absichtserklärung mit Norwegen und Peru aus dem Jahr 2014 zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen aus Waldschädigung und Waldvernichtung im peruanischen Amazonasgebiet. Gerade deshalb ist es unverständlich, weshalb der Deutsche Bundestag die ILO-Konvention 169 noch nicht unterzeichnet hat. Die Argumentation gegen die Konvention, überwiegend von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion, hat, wie oben dargelegt, sehr kurze Beine.

Zuletzt könnte Ratifizierung durch Deutschland – abgesehen von der solidarischen Wirkung und der Einführung einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen – Deutschlands Position als Vorreiter in Sachen Klimaschutz stärken und womöglich weitere Staaten zu einer Ratifizierung motivieren.

Leon Meyer zu Ermgassen