Übereinstimmende Ziele – politische Unterstützung

Jimi Merk, bis Ende 2018 langjähriger Geschäftsführer der Infostelle Peru und heutiges Vorstandsmitglied,  meint, dass Solidarität mit Peru  und Deutschland in erster Linie politisch sein soll.

Solidarität bedeutet für mich, dass ich Menschen oder Bewegungen unterstütze, mit deren Positionen ich übereinstimme und die gleiche oder ähnliche Ziele wie ich verfolgen. Diese Unterstützung ist erstmal politisch und kann ganz verschieden aussehen. Sie kann –eher im Ausnahmefall – auch finanziell sein.

Ich bin beim Lesen der bisherigen Diskussionsbeiträge sehr erstaunt, wie der Begriff Solidarität von anderen interpretiert wird. Um von mir aus klarzustellen:

  • Ich bin nicht solidarisch mit einem Land, sondern mit Gruppen und Bewegungen, die z. B. für Menschenrechte, für Demokratie und echte Teilhabe, für ein gutes Leben für alle Menschen eintreten.

  • Solidarität hat für mich nichts (oder nur sehr wenig) mit Entwicklungshilfe/-zusammenarbeit zu tun, die sehr oft eher das Eigeninteresse der Geberländer im Blick hat. Auch (staatliche oder kirchliche) Hilfe im Kriegsfall, bei Natur- oder Hunger-Katastrophen haben für mich wenig mit Solidarität, eher mit Hilfsbereitschaft zu tun.

  • Natürlich spielen bei der Solidaritätsarbeit der Infostelle auch die Entwicklungsunterschiede zwischen Peru und Deutschland eine Rolle – Solidarität gibt es aber auch in anderen Fällen ohne diese Entwicklungsunterschiede: etwa zwischen Gewerkschaften oder Umweltbewegungen innerhalb Europas. Ich selbst bin mit verschiedenen Gruppen und Bewegungen in Deutschland solidarisch – dazu schreibe ich etwas mehr weiter unten.

  • Solidarität kann für mich nur auf Augenhöhe stattfinden. Anders als bei finanzieller Hilfe, bei der die Asymmetrie der Beziehung fast unausweichlich ist, baut eine solidarische Beziehung auf gegenseitigem Respekt, Austausch und gegenseitiger Unterstützung auf. Der letzte Punkt ist in den Beziehungen der Infostelle zu peruanischen Organisationen –vorsichtig ausgedrückt – noch stark ausbaufähig. Einige Anregungen dazu weiter unten.

Dass sich die wirtschaftliche und menschenrechtliche Situation in Peru in den letzten Jahren für viele Menschen deutlich verbessert hat, ist für mich kein Grund, unsere Arbeit infrage zu stellen: indigene Rechte und Frauen-Rechte werden nach wie vor massiv verletzt, legitime Proteste werden kriminalisiert, bei vielen Menschen ist vom wirtschaftlichen Aufschwung nichts angekommen, die Extraktiv-Wirtschaft schafft soziale Probleme und ökologische Zerstörung… Genau in diesen Bereichen arbeiten wir mit Organisationen und Bewegungen zusammen.

Auch wenn die Dependenz-Theorie die internen Ursachen der Probleme in Peru und anderen Ländern des Globalen Südens „ausgeklammert“ hat: unter anderem für die Auswirkungen der Bergbau- und Öl-Wirtschaft und des Klimawandels tragen Europa und Deutschland eine Mitverantwortung. Und auch die langjährige Vernachlässigung des Bildungs- und Gesundheitssystems liegt nicht nur in der Verantwortung der politisch Zuständigen in Peru: in Zeiten der Überschuldung wurde Peru gezwungen, der Zahlung des Schuldendienstes Vorrang einzuräumen, damals wurde bei Bildung und Gesundheit massiv gekürzt. Daran hätte man allerdings in Peru in den letzten 15 Jahren etwas ändern können.

Die Unterstützung des Kampfes für gute Lebensbedingungen für alle Menschen, für Menschen- und Arbeitsrechte und gegen Umweltzerstörung in Peru ist nicht nur eine Aufgabe für uns, weil wir mit den Ursachen dieser Situation etwas zu tun haben. Nach meiner festen Überzeugung nützen politische Erfolge in Peru auch uns. Menschenrechte sind unteilbar, und die Umweltzerstörung in Peru und Deutschland hat globale Auswirkungen. Die für eine Verbesserung der Situation notwendigen Veränderungen in Peru setzen Veränderungen bei uns voraus. Und wer will bestreiten, dass wir bei uns auch im eigenen Interesse Veränderungen brauchen: unser Energieverbrauch, unser Mobilitätsverhalten und unsere konventionelle Landwirtschaft bedrohen (auch) unsere eigenen Lebensgrundlagen. So ist neben der Unterstützung unserer Partnerorganisationen der Kampf für Veränderungen bei uns für mich Teil unserer Solidaritätsarbeit.

Und dabei könnten wir – wie oben bereits angedeutet – auch die Unterstützung unserer peruanischen Partner*innen brauchen. Warum sollte nicht die Bürgerbewegung gegen den Klimawandel MOCICC einen Brief an die Bundesregierung und RWE schreiben und einen sofortigen Ausstieg aus der Braunkohle-Förderung fordern? Und warum sollten nicht Red Muqui und CooperAcción die Bundesregierung auffordern, angesichts der umfangreichen Importe von peruanischem Kupfer nach Deutschland zu den Problemen mit den und Auseinandersetzungen um die peruanischen Kupferminen Stellung zu beziehen? Weitere hilfreiche Beispiele wären leicht zu finden.

Und zu der oben angeschnittenen Frage nach Solidarität innerhalb Europas und Deutschlands: Ich bin seit vielen Jahren überwiegend in der Unterstützung peruanischer Organisationen aktiv. Trotzdem fühle ich mich unter anderem solidarisch

  • mit den antirassistischen Initiativen z. B. in Italien und auch in Deutschland, die sich gegen die flüchtlingsfeindliche Politik der europäischen Regierungen wehren,

  • mit den Besetzer*innen des Hambacher Forsts und der Braunkohle-Bagger, die einen raschen Ausstieg aus der Braunkohleförderung verlangen,

  • mit den streikenden Pflegekräften der Kliniken, die sich gegen die Unterbesetzung der Krankenstationen und für bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte einsetzen,

  • mit den Initiativen, die sich gegen Mietwucher und Gentrifizierung wehren.

Auch wenn ich nicht viel Zeit und Energie für diese Auseinandersetzungen übrig hatte: auch eine Unterschrift, ein (Leser-)Brief oder eine Spende für die in diesen Bereichen engagierten Organisationen sind (für mich) Ausdruck von Solidarität. Und ein Zeichen, dass sie – an anderer Stelle wie ich, aber mit ähnlichen Zielen – an den Veränderungen arbeiten, die die Menschen in Peru und Europa dringend brauchen. Diese Veränderungen werden wir ohne internationale Solidarität nicht erreichen.

Jimi Merk