Editorial InfoPeru Nr. 22

Liebe Leserin, lieber Leser!

Es sind nun 10 Jahre vergangen, dass die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (CVR) ihren neunbändigen Abschlussbericht dem damaligen Präsidenten Toledo und der Öffentlichkeit vorgelegt hat. In Peru wird dieses Ereignis nicht nur von den Betroffenenverbänden, der Ombudsstelle, der  „Defensoria del Pueblo“  oder den  Menschenrechtsorganisationen gedacht. Öffentliche Gedenkveranstaltungen, Seminare und  Interviews in den Medien mit den damaligen Kommissionsmitgliedern wie Salomon Lerner und Sofia Macher diskutieren die Umsetzung der Empfehlungen z.B. bezüglich Wiedergutmachung der Opfer und staatlicher und juristischer Reformen.  Der Blick geht zurück, erinnert an die dramatischen Vorfälle und Verbrechen in der Phase des internen Krieges und der diktatorischen Regierungszeit von Fujimori. Das Bewusstsein bezüglich der Menschenrechte ist heute  in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden, und  diese werden erstmalig in der peruanischen Geschichte auch von den  „ninguneados“, wie José Maria Arguedas den  namenslosen, armen und rechtlosen Teil der  Bevölkerung nannte,  eingefordert.  Die großen juristischen Prozesse gegen Fujimori, Montesinos, Abimael Guzman und andere Korrupte und politische Verbrecher wurden auch durch die Arbeit der CVR möglich.  Die Rolle von Polizei und Militär ist heute klarer definiert,  und insgesamt mehr als 80 Erinnerungsorte im ganzen Land sollen das Gedächtnis auch der jungen Bevölkerung an diese brutale Phase in der Geschichte Perus wach halten. Auch der in Lima geplante „Lugar de la Memoria“, mit durch deutsche Finanzhilfe initiiert, wird wohl in Bälde als Zentrum der  historischen Erinnerung gelten können.

Dennoch fehlt noch vieles: Die systematische Suche nach der immensen Anzahl  „Verschwundenen“, die Reparationen für die vielen Opfer und deren Angehörige, aber auch: der nach wie vor starke Rassismus im Land, der ungleiche Zugang zu öffentlichen Schulen, Gesundheitsvorsorge  und  die mangelhaften Arbeitsmöglichkeiten.

Sofia Macher sagt deshalb  klar: Zur  Wiederherstellung der Würde der Opfer bedarf es noch viel: ein wahrhaft demokratisches Land mit demokratischen Institutionen, aber auch wirtschaftliche Teilhabe. Da ist dann  die Frage, wie und wofür das allseits gepriesene „Wachstum“  entsteht, und wem der neue Reichtum zugute kommt. Wenn die „Inklusion der ninguneados“  nicht deutlich weiter kommt, meint Salomon Lerner, besteht die Gefahr, dass die „Sirenenrufe“ etwa der neu-senderistischen Organisation Movadef  vor allem in der jungen und von Exklusion betroffenen Bevölkerung  auf offene Ohren stoßen.  –

Wir von der Informationsstelle Peru sind uns klar, dass  für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung Perus die Erinnerung an die Verbrechen lebendig gehalten werden muss,  und deshalb werden wir auch in diesem Jahr am internationalen Tag der Menschenrechte wieder eine kleine Gedenkveranstaltung  organisieren.  Aber auch die  Frage von mehr Inklusion und die dafür unabdingbaren staatlichen  Reformen werden uns beschäftigen.  Gemeinsam mit unseren zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen in Peru wollen wir den Prozess einer gerechten, umweltfreundlichen und demokratischen Entwicklung voran bringen.

Für unser neues InfoPeru haben wir  deshalb als thematischen Schwerpunkt „10 Jahre CVR-Bericht – Blick  in die Vergangenheit, Blick in die Zukunft“  gewählt.

Viel Spaß beim Lesen  wünscht

Mechthild Ebeling

(Vorstandsmitglied der Informationsstelle Peru e.V. )