Indigene besetzen eine Erdölpumpstation im Juli 2019 (© Hildegard Willer)

Blutiger „Tag der Indigenen“

3 Tote und mehrere Verletzte gab es bei einem gewaltsamen Konflikt zwischen Indigenen und Polizei in der Region Loreto.

In der Nacht zum 9. August – übrigens der Internationale Tag der Indigenen Völker – kam es  in der Region Loreto an der Erdölförderstation 5 der Konzession 95 zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Dabei  starben  3 Angehörige des Volkes der Kukuma, die bei der Erdölfirma Petrotal wegen ihrer Vernachlässigung im Rahmen der Corona-Krise protestiert hatten. Wie die indigene Organisation ORPIO, einer der 9 Regionalverbände der nationalen Organisation AIDESEP, schreibt, war der Grund für die Protestaktion die fehlende medizinische Unterstützung für ihre an Covid-19 erkrankten Familienangehörigen. Sie protestierten auch, weil sie bisher keine der versprochenen Entschädigungen und Vergünstigungen erhalten haben, die der indigenen Bevölkerung für die schon 50 Jahre andauernde Erdölförderung auf ihrem Territorium versprochen worden war.  

 

Da die Verhandlungen um mögliche Unterstützung in der Corona-Krise scheiterten, wollten die indigenen Demonstranten von ihrem Recht auf Schließung ihrer Territorien nach Außen Gebrauch machen und so die Erdölfirma zum Stopp ihrer Förderaktivitäten und Bewegungen von Personal von und zur Förderstätte zwingen. Die Abschottung nach Außen ist eine von allen Staaten, wie auch von indigenen Gemeinschaften praktizierte Maßnahme während der Corona-Pandemie.  Denn die Befürchtung liegt nahe, dass mit Personal aus anderen Regionen und Lieferbewegungen das Virus eingeschleppt werden kann. Auf indigener Seite trifft es auf eine Bevölkerung, die in tiefer Armut lebt und nicht über medizinische Versorgung verfügt und auch nicht oder nur schlecht mit präventiven Schutzmaßnahmen wie Masken und Desinfektionsmitteln versorgt wird.

 

 Unklare Eskalation

Aber  die Verhandlungen scheiterten, und , wie oft in solchen Fällen, herrscht Unklarheit, was danach geschah. Die indigenen Organisationen geben an, ihre Demonstrant*innen seien in friedlicher Absicht, aber mit Speeren bewaffnet erschienen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das peruanische Innenministerium spricht in seiner öffentlichen Erklärung davon, die Demonstrant*innen seien mit Lanzen und Rückladern bzw. Schrotflinten ausgestattet gewesen und hätten zuerst geschossen, wobei ein Projektil einen Polizisten traf. Daraufhin sei das Feuer eröffnet worden. Beim Radiosender RPP erschien inzwischen ein Video der Überwachungskameras der Firma Petrotal, das die mit Lanzen ausgestatteten Protestierenden zeigt, die vorstürmen, worauf auch das Feuer eröffnet wird. Mindestens 3 indigene Demonstranten wurden erschossen (es gibt Berichte, dass inzwischen eine vierte Person verstorben ist) und 16 Menschen, darunter auch Polizisten, verletzt.

Ein zweiter “Baguazo” ?

 

Schon wird davon gesprochen, dass sich der Vorfall zu einem zweiten „Baguazo“ entwickeln kann. Bei der Eröffnung des Feuers auf indigene Demonstrierende in der „Curva del Diablo“ bei Bagua im Juni 2009  kam es zu einer Eskalation des Konfliktes, sodass schließlich mehr als 30 Tote auf beiden Seiten – indigene Bevölkerung sowie Polizei und Militär – zu beklagen waren. Die Indigenen hatten gegen das sog. “Dschungelgesetz” (Ley de la Selva) protestiert, das die Konzessionierung Amazoniens für die Erdöl- und Erdgasförderung vorsah.

 

Die Vorfälle in Bagua geschahen allerdings nicht in einer medizinischen Ausnahmesituation wie der Corona-Krise und waren die Spitze Monate anhaltender Proteste von indigener Seite in Amazonien gegen das Ley de la Selva. Auch die andine Bevölkerung hatte sich damals solidarisiert.

In der jetzigen Situation ist die Lage wegen der seit März andauernden Ausnahmesituation in der Corona-Krise angespannt. Die schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen lassen den peruanischen Staat mit der intensiven Förderung extraktiver Rohstoffe und der zugehörigen Unternehmen liebäugeln.  Auch im Forstsektor ist die Führung der staatlichen Behörde SERFOR ausgewechselt worden, so dass ihr nun jemand vorsteht, der die Forstunternehmen begünstigen will. Andererseits hat die marginalisierte indigene Bevölkerung wenig und nur zögerlich medizinische Unterstützung erhalten und in der Folge sehr unter der Krise gelitten. Die Förderung der extraktivistischen Unternehmen trifft sie in ihrer Lebensgrundlage, in den Territorien. So fordern die indigenen Organisationen die faire Untersuchung der Vorfälle und einen fairen Dialog, der zu nachhaltigen, positiven Lösungen führt.

 

Vorwürfe gegen “Aufwiegler”

Die Zeitschrift Hildebrandt en sus trece, nicht dafür bekannt politisch etwa „rechts ausgerichtet“ zu sein, erhebt Vorwürfe gegen die indigenen Organisationen, den Konflikt bewusst zu schüren.

Rolando Luque,  Spezialist für soziale Konflikte bei der Ombudsstelle (Defensoría del Pueblo), erläutert, dass der Konflikt in Bretaña schon einen längeren Vorlauf hat,  und sich vor allem gegen den Staat richtete. Der hatte einen ehrgeizigen Plan angekündigt, der für eine bessere Versorgung der Bevölkerung mit einem kleinen Hospital, Abwassersystemen, Telefon u.a. sorgen sollte. Bisher sind diese Pläne nicht erfüllt wurden und mit der Corona-Krise hat sich die Brisanz verschärft.

 

Breite Unterstützung

Unterstützung erhalten die indigenen Organisationen auch von Organisationen wie der CNA, der Confederación Nacional Agraria, mit andinem Schwerpunkt und von ausländischen Organisationen wie der environmental investigation agency (eia) und Proética, dem peruanischen Zweig von Transparency International. In ihrer gemeinsamen Presseerklärung mit dem indigenen Dachverband des peruanischen Amazonastieflands AIDESEP setzen eia und Proética die Geschehnisse an der Station 5 in Bretaña in den Kontext der besonderen Betroffenheit der indigenen Bevölkerung durch das Corona-Virus. Sie äussern ihre Hoffnung, dass der peruanische Staat  diese Bevölkerungsgruppe besonders unterstützen würde, statt auf repressive Massnahmen zu setzen.  Der Premierminister Walter Martos hatte in seiner Antrittsrede vor dem Kongress kürzlich die besondere Schwere der Situation bei der indigenen Bevölkerung Perus erwähnt hatte. 

 

Das Erdölunternehmen Petrotal in Bretaña hat zwischenzeitlich alle Aktivitäten in dem Bereich eingestellt. Schon wird der indigenen Bevölkerung damit gedroht, dass die Gemeinden dann auch nicht die Steuer-Einnahmen aus dem canón minero erhalten.

 

Elke Falley-Rothkopf

 

Quellen und weiterführende Literatur:

 

http://www.orpio.org.pe/

https://larepublica.pe/sociedad/2020/08/09/lote-95-reportan-3-indigenas-muertos-tras-enfrentamiento-con-la-policia-en-loreto-confirma-orpio-a/

CNA exige justicia: Masacre indígena en Lote 95 no debe quedar impune

gemeinsame Pressemitteilung environmental investigation agency (EIA) – AIDESEP – Proética vom 13.08.2020: Amazon en emergencia-NOTA DE PRENSA.pdf

www.aidesep.org.pe

https://www.hildebrandtensustrece.com/, Artikel “Azuzando” von Ricardo Velazco, 16.08.2020

Pressekonferenz mit Rolando Luque, Defensoria del Pueblo, für die Asociacion de Prensa Extranjera en el Peru, vom 12.8.2020

https://rpp.pe/peru/loreto/loreto-lote-95-video-del-enfrentamiento-entre-indigenas-y-policias-por-conflicto-de-bretana-noticia-1285614