Ayahuasca-Tourismus und ein mysteriöser Doppelmord

Zuerst wurde eine 81-jährige indigene Heilerin erschossen, dann wurde ihr Mörder ermordet. Was haben diese Verbrechen mit dem Ayahuasca-Boom zu tun ?

Olivia Arévalo Lomas (81 Jahre) war eine anerkannte und sehr geschätzte Heilerin mit großen Kenntnissen der traditionellen Medizin und der Wirkung der heiligen Lieder (ikaros). War – denn sie wurde am 19.04.2018 ermordet. Sie gehörte dem indigenen Volk der Shipibo-Conibo an und lebte in der sich interkulturell nennenden Gemeinde Victoria Gracia. Diese liegt ca. 20 Auto-Minuten von der Provinzstadt Yarinacocha entfernt im zentralen Regenwald, in der Region Ucayali. Sie war eine Meraya, eine Person, die sich auszeichnet wegen ihrer großen Kenntnisse über Zeremonien, mit denen sie Menschen zur Gesundung hilft. Ihr Mörder war der Kanadier Sebastian Woodroffe (41 Jahre). Auch hier gilt: war – weil er wenige Stunden nach seiner Tat von Dorfbewohnern ermordet wurde. Der Lehrer und der Chef dieser Dorfgemeinschaft werden jetzt polizeilich wegen Mordes gesucht. Diese Taten haben in Peru viel Aufmerksamkeit in den Medien erhalten und zum Teil eine große Betroffenheit ausgelöst. Bei meiner weitere Beschäftigung mit den Verbrechen und ihren Hintergründen zeigte sich die Vielschichtigkeit des Themas .

Eine mysteriöse Tat

Erstaunlich, dass Woodroff sich die Pistole, mit der er die Heilerin erschoss, ganz offen – als Ausländer – von einem Polizisten kaufen konnte. Und das in einer Region, wo es im Konflikt um die Ausbreitung von großen Agrarunternehmen immer wieder zu Morddrohungen und Übergriffen gegen die ansässige Bevölkerung kommt. Das Motiv zu diesem Mord, soll nach Aussagen der meisten Quellen darin bestanden haben, dass der Sohn von Olivia Arévalo vom Mörder einen Kredit in Höhe von 14.000 Soles (ca. 4.000 EUR) bekommen hat – evtl. auch einen Laptop. Weil dieser nicht zahlte und Woodroff ihn bei mehreren aggressiven Besuchen in dem Dorf nicht antraf, sondern nur dessen Mutter, hat er diese mit drei Schüssen ermordet. Viele Tage vor der Tat kam Woodroff immer wieder in das Dorf, brüllte herum und stieß Todesdrohungen aus. Dreimal haben Dorfleute ihn ergriffen und der Polizei übergeben, die ihn immer wieder freiließ.

Überbordender Ayahuasca-Tourismus

Eine weitere Dimension dieses Problems zeigt der Regenwaldexperte Roger Rumrill auf. Er spricht vom Ayahuasca-Tourismus. Er meint, dass sowohl Olivia Arévalo wie auch Sebastian Wodroffe (und auch diejenigen, die den Mörder ermordet haben) ein Opfer der Vermarktung der wichtigen Droge der Shipibo, der Ayahuasca und anderer Heilpflanzen und des damit zusammenhängenden „Schamanen-Tourismus” wurden. Wie Woodroffe suchen viele Menschen aus Nordamerika und Europa Heilung aus ihrer tiefen Lebenskrise im Konsum der Ayahuasca-Droge (einer Liane caapi / chacruna) ihre Heilung. Ayahuasca ist ein Tee aus dieser Liane, dem weitere Pflanzen beigemischt werden. Diese haben unterschiedliche Wirkungen. Ein indigener Begriff für die Ayahuasca-Liane ist „Seil der Seele”. In Gesprächen mit Expert*innen wurde immer betont, dass die Tat nicht im Ayahuasca-„Rausch” begangen worden sein kann, da Personen in diesem Zustand dazu überhaupt nicht in der Lage sind. Die Wirkungen der Einnahme beruhen auf dem Alkaloid DMT, das im Gehirn wirkt. Traditionelle Heiler*innen nehmen Ayahuasca ein, um Krankheitsursachen herauszufinden. Diese „große Reinigung” verbindet in der indigenen Kultur die Magie mit der Therapie. Natürlich sollen und können traditionelle Heiler*innen wie Ärzt*innen bei uns für ihre Dienste bezahlt werden bzw. freiwillige Zuwendungen durch die Heilsuchenden erhalten. Olivia Arévalo soll Kontakte zum Temple of the Way of Light gehabt haben. Wenn man auf dessen Website (https://templeofthewayoflight.org/) geht, kann man lesen, dass diese sich nicht zur New-Age-Bewegung und auch zu keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlt. Weiter, dass dort seit 2007 über 5.000 Menschen in ihren Retreat Centers (Behandlungsräumen) geheilt wurden . Beschrieben wird auch, dass sie viele Projekte der Shipibo-Dorfgemeinschaften unterstützen und dies im Sinne des Buen Vivir – des Guten Zusammenlebens. Die Schaman*innen (curander@s), mit denen sie zusammenarbeiten, sind mit Fotos aufgelistet. Aus der Fülle der Angebote soll hier die Peruvian Association of Shamans mit über 100 Mitgliedern vorgestellt werden. Von Heilungen mit Ayahuasca von 1 bis 5 Tagen, mit der Droge des San-Pedro-Kaktus oder Hochzeiten in Inka-Tradition, alles kann man in der Touristenhochburg Cusco buchen. Des weiteren findet man im Angebot: Ayahuasca-Zeremonie in Kombination mit Waschung mit Vulkan-Wasser, mit Orakel, mit dem Werfen von Cocablättern, Mutter-Erde-Zeremonien usw. Das alles kostet nicht wenig: Ein Tag in der Gruppe Ayahuasca und Vulkan-Wasser in Cusco: 120 US-Dollar. Individuell im sogenannten Retreat-Tempel außerhalb von Cusco für 1 Tag Ayahuasca und fünf Anden-Techniken 390 Dollar, etc. ein Ayahuasca Retreat in der Nähe der Urwaldstadt Iquitos kostet zwischen 60 und 170 EUR pro Tag inkl. Verpflegung, Unterkunft und Behandlung, ohne Anreisekosten. Dem Ayahuasca und dem San Pedro-Kaktus wird die Kraft zugeschrieben, dass der Inkaherrscher Tupac Inka Yupanqui dank seiner Einnahme dieser und anderer Drogen ein stärkerer Krieger wurde und deshalb Ecuador erobern konnte.

Plastikschamanen

Der Begriff wurde für Menschen geprägt, die sich als Heiler ausgeben, aber keine indigenen Curander@s sind. Wenn sich diese dort und hier als Heiler „in der Tradition indianischer Stämme Amazoniens” ausgeben oder als Inti in der Tradition der Inkas oder ein Programm “Ayahuasca mit Schwitzhütten-Zeremonie” anbieten, dann sind dies Plastikschamanen. Gefährlich wird es auch, wenn Pseudoheiler den Tee nicht selbst herstellen, sondern die fertige Mischung auf dem Markt kaufen oder die Mischung herstellen, ohne die Kenntnisse dafür zu haben. Viele Anbieter betonen, dass sie einen Teil der Einnahmen an soziale Projekte geben, für Kinder, oft auch für Permakulturprojekte. Die Transparenz, ob und was wirklich geschieht, ist meist sehr dünn. Ein Beispiel für viele ist die Ayahuasca Peru ODG auf der Isla del Amor im Yarinacocha-See (nahe der Stadt Pucallpa). Dieses Zentrum umfasst 45 Hektar. Das Behandlungsangebot ist sehr vorsichtig formuliert. Es gibt Sitzungen gegen Depression, Stress, Angstzustände, aber auch bei Arthrose, hohem Fettgehalt im Blut, Leber- und Nierenproblemen… und bei „Krankheiten, die die westliche Medizin nicht heilen kann”. Die Fotos auf ihrer Website zeigen junge Frauen. In Ländern wie Ekuador, Kolumbien oder Peru gehören die Behandlungszentren und dazu gehörenden Anlagen oft Ausländern oder Nicht-Indigenen und die indigenen Schamanen sind dort – gegen geringe Bezahlung – tätig.

Probleme für die indigene Bevölkerung

Im Jahre 2008 erkannte der peruanische Staat das Ritual mit Ayahuasca als Nationales nicht-materielles Gut an. Es gibt aber bisher keine Normen über sichere Anwendungen, noch gibt es ein Register anerkannter Schamanen. Durch diesen Schamanismus-Tourismus findet ein ein enormer Raubbau an diesen Pflanzen statt. In einigen Regionen muss die Ayahuasca-Liane von immer weiter herangeschafft werden. Mit Motorsägen werden die Bäume gefällt, an denen diese Liane sich hochwindet. Diese wird mit anderen Pflanzen über 24 Stunden gekocht. Aus 40 Liter Lianen-Sud gewinnt man ungefähr ein Liter der Ayahuasca-Droge. Dieser wird für ca. 100 Dollar verkauft. Die Heilkenntnisse werden nicht seriös angewendet und aus ihrem traditionellen Kontext gerissen. Bei unsachgemäßen Zeremonien hat es Tote und auch Vergewaltigungen gegeben. Seriöse Heilerinnen und Heiler raten nicht zu einer leichtfertigen und unbegleiteten Einnahme. Der Raubbau findet natürlich auch durch Wiederverkäufer*innen von Ayahuasca-Tee-Mischungen bei Esoterikveranstaltungen oder Seminaren statt. Die Angebote in Deutschland für solche Sitzungen und Zeremoniensind groß. Es scheint so zu sein, dass es eine große Ayahuasca-Szene in Berlin gibt und dort speziell in Heinersdorf.

 

Die Ermordung des Mörders: Lynchmord oder indigene Justiz?

Juan Carlos Ruiz Molleda, ein auf indigene Justiz spezialisierter Jurist des Instituto de Defensa Legal sagt klar: Die Ermordung des Mörders hat nichts mit dem Konzept der indigenen Justiz zu tun. Indigene Justiz muss im Rahmen der Achtung der Menschenrechte erfolgen. “Auge um Auge, Zahn um Zahn” fällt nicht darunter. Er betont aber auch: In Übereinstimmung mit der Internationalen Konvention über die Rechte der indigenen Völker (ILO 169) schreibt die peruanische Verfassung vor, bei der Beurteilung einer solchen Tat den kulturellen Hintergrund, der zur Tat führte, zu berücksichtigen. Dazu gehört auch wohl die Erfahrung, dass sich die indigene Bevölkerung von staatlichen Stellen total im Stich gelassen fühlt. So wurde 2017 ebenfalls in der Region Ucayali der Schamane Teodoro Gómez ohne juristische Aufarbeitung ermordet. Ähnliches geschah auch in anderen Regionen, wo indigene Dorfchefs von Holzfällertrupps ermordet wurden wie im Fall der Asháninka in den Dörfern Nueva Amanecer Haway oder in Alto Tamaya Saweto. Die Nichtregierungsorganisation DAR spricht davon, dass in den letzten Jahren 70 indigene Leiter*innen ermordet wurden. Solche Taten bleiben meist ohne juristische Aufklärung und somit ungestraft. All das rechtfertigt nicht die Ermordung des Mörders. Es macht aber den Grad der Frustration der indigenen Bevölkerung verständlich. Die Organisationen der Shipibo-Konibo-Xetebos COSHIKOX verurteilte ebenfalls die beiden Morde. Ihr Präsident Ronald Suárez verlangte für die Ermittlungen einen Ermittlungsrichter oder eine Ermittlungsrichterin mit ethnologischen Kenntnissen.

Rassistischer Diskurs im Zusammenhang mit diesem Fall

Hier tut sich vor allem Carlos Maria del Carmen Tubino Arias-Schreiber hervor. Als ehemaliger Vizeadmiral ist er für die Region Ucayali Abgeordneter der Fujimoripartei im peruanischen Parlament. Bekannt ist er als „Linken-Hasser” und für seine rassistischen Aussagen. So twitterte er nach der Wahlniederlage seiner Parteichefin Keiko Fujimori über linke Abgeordnete, sie seien „schmierige Rote”, „schlecht angezogen”. usw. Als das kritisiert wurde, antwortete er: „Ich stinke wenigstens nicht.” Diese Wortwahl ist nicht von ungefähr: In Zeiten des Feudalismus bezeichneten sich die Grundbesitzer als saubere Menschen, ihre Landeigenen, die campesinos, wurden als „schmutzige Schweine” bezeichnet. Herr Tubino Arias Schreiber gehörte auch zu den Befürwortern des Vorschlags, dass die Verbrechen von Militärs in der Regierungszeit von Expräsident Fujimori und dessen Geheimdienstchef Montesinos unbestraft bleiben müssen. Bekannt wurde er auch für die Gesetzesinitiative, mit der diejenigen bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft werden sollten, die sexuelle Übergriffe von Mitgliedern religiöser Gemeinschaften anprangern. Im Fall der Ermordung des Mörders von Olivia Arévalo bezeichnet er u.a. die Shipibos als Wilde, die alle festgenommen werden müssten, und alles sei geschehen wegen ihrer Kultur, und ihren Schamanen, die mit ihren Heilmethoden (mit Ayahuasca) nur ihre Geschäfte machen wollen. Tubino erhielt deshalb heftige Kritik, speziell auch von der nationalen Organisation indigener Frauen aus den Anden und dem Amazonas. Tubino setzte als Mittel der Einschüchterung seiner Kritiker eine „notarielle Abmahnung” ein, in der er fordert, die Kritik an ihn zurückzunehmen. Der Rat der Shipibo-Conibo-Xetebos COSHICOX sowie Robert Guimaraes von der indigenen Förderation FECONA erklärten: „Wir haben nichts zurückzunehmen, denn solche rassistischen Aussagen sind nicht zu tolerieren und sie sind Teil des täglichen Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung durch die Neusiedler-Bevölkerung”. Sie forderten zugleich das peruanische Parlament auf, Vizeadmiral Tobino aus dem Parlament zu entfernen. Um diese Forderung zu untermauern und gegen die Diskriminierung zu protestieren, gingen am 18.05.2018 Tausende Indigene in der Regionalhauptstadt Pucallpa auf die Straßen. Tubino ist auch Initiator eines Gesetzes , um eine Straße durch den Regenwald (von Madre de Dios bis nach Purús) zu bauen. Diese führt auch durch Schutzgebiete und Gebiete, in denen indigene Gruppen in freiwilliger Isolation leben. Die Straße wird dann hauptsächlich von Drogenhändlern, Holzfällern und Goldsuchern benutzt. Die Einschüchterungen gegen die indigenen Organisationen und ihrer Leiter gehen weiter.

Ein positiver Ausblick?

VertreterInnen von 24 lateinamerikanischen Ländern haben am 04.03.2018 in Costa Rica nach fast fünf Jahren Verhandlungen eine Vereinbarung zum Schutz der (indigenen) Umweltschützer*innen unterzeichnet. Diese Vereinbarung soll einen besseren Zugang zur Information, Partizipation und Umweltgerechtigkeit bieten. Es soll die Bereiche Umwelt und Menschenrechte verbinden. In dem Dokument heißt es: „… Personen, Gruppen oder Organisationen, die Menschenrechte im Bereich der Umwelt einfordern oder verteidigen, können dies tun, ohne Verfolgung, Einschränkung oder Unsicherheit befürchten zu müssen…” Für Peru hat diese Erklärung der damalige Vizeminister für natürliche Ressourcen unterzeichnet. Aber vielleicht ist es mal wieder gar nicht so ernst gemeint. Die Vorsitzende der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und der Karibik (CEPAL), Alicia Bárcena betonte, dass diese Vereinbarung eine gute Maßnahme ist, um zu zeigen, dass man mit der Erfüllung der sogenannten SDGs im Rahmen der Agenda 2030 vorankommen will. Mittlerweile Tubino hat einen neuen Feind gefunden: Den jüngst von Papst Franziskus zum Kardinal berufenen Erzbischof von Huancayo, Pedro Barreto. Kardinal Barreto ist bekannt für sein Engagement für Umwelt und die Anliegen der indigenen Bevölkerung.

Übersetzung und Kommentierung: Heinz Schulze. Dank an Elke Falley-Rothkopf.

(Quellen: Roger Rumrill: la muerte de Olivia Arévalo: la mercantilizaciíon de la ayahuasca y el turismo shamanica in: la Otra Mirada, Lima, 30.04.2018; Aprueban primer tratado para proteger a líderes ambientales, Servindi, 06.03.2018; DAR, 24.04.2018; www.hispantv., 17.03.2018; RA Luis Hallazi in Actualidad noticias, 23.04.2018; CAAP, Lima 03.05.2018; Ideele Radio in Servindi, 24.04.2018; Piden sancionar a congresita Tubino por comentarios discriminatorias, Servindi, 26.04.2018; Pronociamiento de Coshicox, 30.04.2018 „Que es lo que molesta a Carlos Tubino?; Servindi 21.05.2018; Comunicado FECONAU, 18.05.2018; el nuevoherald.com article 21272924, 07.06.2018; Prof. Ana Echazi-Böschemeier (Univ. Federal de Rio Grande en Brasil; servindi org 18.05.2018 und vom 30.05.2018; u.a.)

Ein Gedanke zu “Ayahuasca-Tourismus und ein mysteriöser Doppelmord”

Kommentare sind geschlossen.