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Warum so viele Peruaner am Silvesterabend demonstrieren gingen

Einige Schlaglichter auf den Justiz- und Politkrimi rund um Lava Jato.

Seit vielen Monaten tobt ein Kampf innerhalb des Justizapparats und sorgt für tägliche Schlagzeilen. Im Kern geht es um den Versuch einiger aufrechter, unbestechlicher Staatsanwält*innen und Richter*innen, die wuchernde Korruption innerhalb und außerhalb der Justiz in den Griff zu bekommen und endlich dafür zu sorgen, dass Mitglieder unterschiedlicher Mafia-Clans, Wirtschaftsnetzwerke und mit ihnen verbündete Politiker*innen und Staatsbedienstete für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Dass die Auseinandersetzungen nun derart dramatisch ablaufen, hängt mit der politischen Bedeutung der Beteiligten und der bald schon unendlich scheinenden Geschichte des Odebrecht-Korruptionsskandals zusammen, der auch unter der Bezeichnung „Lava Jato“ in Peru seit 2015 auf parlamentarischer und juristischere Ebenen untersucht wird. Unter anderen sind fünf ehemalige Präsidenten Perus sowie Keiko Fujimori und deren Führungsclique Ziel der umfangreichen und hindernisgespickten Ermittlungen. Dazu unten mehr.

Korruption ist ein alltägliches Phänomen, das sich praktisch durch alle Lebensbereiche zieht. Ob ein*e Polizist*in anstelle des Strafzettels die Hand aufhält, ein Medikament im staatlichen Krankenhaus nur „schwer verfügbar“ ist, ein*e Richter*in ein bezahltes Gefälligkeitsurteil spricht oder eine berechtigte Verurteilung verhindert, zählt quasi schon zum Brauchtum.

Die Auswirkungen fallen allerdings sehr unterschiedlich aus. An Alltagskorruption kann oder muss man sich zähneknirschend gewöhnen und gegebenenfalls mitspielen, solange dies nicht die eigene Gesundheit oder die Existenz unmittelbar bedroht. Ist man nicht in der Lage, für ein lebensrettendes Medikament den „Aufpreis“ zu bezahlen, kann es schlimmstenfalls die Gesundheit oder gar das Leben „kosten“. Dass sich Richter*innen, Staatsanwält*innen aller Instanzen und Anwält*innen „kaufen lassen“, wird schnell zu einer existenziellen Frage. Unzählige Bauerngemeinden mussten und müssen die leidvolle Erfahrung machen, teilweise jahrzehntelang in rechtliche Auseinandersetzungen um ihre Landtitel hineingezogen zu werden, die bei Drogenbaronen, Minengesellschaften, ehemaligen Grundbesitzer*innen, Lokalfürsten und anderen Interessierten Begehrlichkeiten geweckt haben.

Einmal abgesehen von der komplexen Landproblematik, zeigt ein Blick auf juristisch geführte Auseinandersetzungen in allen gesellschaftlichen Konfliktfeldern, dass in der Regel immer noch diejenigen gewinnen, die am meisten bezahlen und über den nötigen Einfluss bei den einschlägigen Autoritäten verfügen.

Gangster und kriminelle Politiker*innen vor Verfolgung zu schützen, haben sich daher zahlreiche Gesetzesvertreter*innen zur lukrativen Einkommensquelle gemacht. Überhaupt ist die Juristerei ein lohnendes Metier. Das Jurastudium boomt und unzählige private Hochschulen tummeln sich auf dem Anbietermarkt. Eine der zahlreichen (unterqualifizierten) privaten Universitäten wirbt entsprechend für diese Laufbahn: „Das Jurastudium bildet diese außerordentlich nachgefragten Fachleute aus und die Berufsausübung gilt als eine der am besten bezahlten des Landes.“ 130 000 Jurist*innen sind derzeit registriert, davon der weitaus größte Teil in Lima und Callao. Klingelt es jetzt vielleicht bei ihnen, wenn Sie Callao hören?

Callao, die an Lima grenzende größte Hafenstadt Perus, ist das Zentrum der Aktivitäten der mächtigen Mafia „Los Cuellos Blancos del Puerto“ (die „weißen Kragen vom Hafen“). Ein Netzwerk aus Mafia, Hafenbehörde, Staatsanwält*innen und Richter*innen, Amtsträger*innen, Logistikunternehmen und anderen Firmen, deren Machenschaften weit über Callao und Lima hinaus reichen, u.a. bis zum illegalen industriellen Fischfang. Callao ist der wichtigste Hafen für Drogen, Waffen und anderes Schmuggelgut. Neben dem Lava-Jato-Komplex stehen die diesbezüglichen Enthüllungen im Fokus des öffentlichen Interesses.

Die „Weißen Kragen vom Hafen“ und die „CNM Audios“

Im Juli 2018 publizierten die investigativen Journalisten von IDL-Reporteros, die schon die Schlüsselrolle in der Berichterstattung über Lava Jato inne hatten, erste Audiomitschnitte von Gesprächen unter Richtern und Angehörigen des CNM (Consejo Nacional de la Magistratura), der obersten juristischen Instanz, die u.a. für die Ernennung und Absetzung von Staatsanwälten und Richtern zuständig war. Diese Telefonmitschnitte waren heimlich von integren Richter*innen und Staatsanwält*innen angeordnet worden, um Beweise gegen korrupte Justizangehörigen zu sammeln und ihnen das Handwerk legen zu können. Besonders César Hinostroza Pariachi, der damals das Amt des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs von Callao ausübte, stand im Visier der Ermittler*innen. Die Audios entlarvten die unzähligen schmutzigen Deals zwischen Justizangehörigen, Mafia und anderen einflussreichen Personen aus Politik und Verwaltung. Ein Audio hatte die Menschen besonders aufgewühlt, nämlich ein Deal Hinostrozas zur Freilassung des verurteilten Vergewaltigers einer Minderjährigen. Sofort forderte das Ministerium für Frauen dessen Absetzung. Anschließend kam es zu großen Mobilisierungen und Kundgebungen der Bewegung „Ni Una Menos“ unter der Parole „Mujeres x Justicia“. Die Audios enthüllten ein ganzes Netzwerk von Beziehungen zwischen Mafia und Justiz bis in die höchsten Justizkreise, insbesondere der CNM. Richter Hinostroza konnte sich trotz starken Rückhalts u.a. durch den Fujiaprismo nicht mehr halten, wurde abgesetzt und angeklagt. Trotz Ausreiseverbots gelang ihm mit Hilfe einer Komplizin beim Zoll die Flucht über die nördliche Landesgrenze. Er setzte sich nach Spanien ab und wurde dort sogleich auf Verlangen Perus in Haft genommen. Die CNM war derart korrupt und diskreditiert, dass alle ihre Mitglieder im Herbst abgesetzt und die gesamte Institution aufgelöst wurde. Ersetzt wurde sie inzwischen durch die neue „Junta Nacional de Justicia“ (JNJ), die nach einem nationalen Referendum, das die Regierung Vizcarra initiiert hatte, mit Zustimmung von 86% der peruanischen Bevölkerung verfassungsmäßig eingerichtet wurde.

Im Kontext der CNM-Audios geriet nach Hinostroza besonders Generalstaatsanwalt Pedro Gonzalo Chávarry, damals Präsident des Ministerio Público, ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Chávarry wird u.a. beschuldigt, neben sechs weiteren Oberstaatsanwälten selbst Mitglied der Mafia der weißen Kragen zu sein. Chávarry wurde zur Schlüsselfigur im perfiden Schachspiel von Fuerza Popular und APRA zur Abwehr der Untersuchungen im Fall Lava Jato / Odebrecht. Chávarry sollte die aufrechten und mutigen Staatsanwälte der juristischen Sonderkommission Lava Jato behindern und wenn möglich, vollkommen aus dem Verkehr ziehen.

Lava Jato / Odebrecht

Im Folgenden reihe ich stichwortartig die wichtigsten Ereignisse in diesem Polit- und Justizkrimi aneinander, dessen Verlauf, Irrungen und Wirrungen im Detail wiederzugeben inzwischen mehrere Bände füllen würde.

Seit 2015 ermitteln Kongress und eine juristische Sonderkommission im Fall Lava Jato, um die Korruption zwischen peruanischen Politiker*innen und dem brasilianischen Konzernmagnaten Odebrecht aufzuklären. Odebrecht ist das größte Baukonsortium Lateinamerikas und hat zahlreiche Großaufträge in Peru ausgeführt. Sowohl in Brasilien als auch Peru wurde und wird gegen jeweils fünf ehemalige Präsident*innen1 wegen Korruption ermittelt. In Peru sind es Alberto Fujimori, Alejandro Toledo, Ollanta Humala, Alán Garcia, Pedro Pablo Kuczynski. Ebenso gegen Keiko Fujimori, lange die mächtigste Politikerin Perus und die Führungsclique ihrer Partei Fuerza Popular. APRA und Fuerza Popular sind ein Bündnis eingegangen, um ihren Einfluss in Parlament und Justiz zu nutzen, um die Aufklärung im Lava Jato-Komplex zu untergraben und möglichst vollständig einzustellen. Sie zu verzögern und unterlaufen, ist ihnen auch mehrere Jahre lang gelungen. Alan Garcia und Keiko Fujimori drohen viele Jahre Haft, sollte ihnen ihre Verwicklung nachgewiesen werden können. Lava Jato ist in mehrere Untersuchungskomplexe aufgeteilt. In den letzten Monaten ging es vor allem um die Ermittlungen im Fall „Cocteles“. Unter Keiko soll Fuerza Popular 1 Mio. US Dollar an illegalen Parteispenden von Odebrecht erhalten haben. Um dies zu verschleiern, wurde behauptet, die Summe sei auf fünf Benefiz-Cocktailparties eingenommen worden. Zahlreiche Parteimitglieder oder Freunde wurden genötigt, sich als weitere Spender auszugeben. Einige dieser Genötigten sind derzeit Kronzeugen in dem Verfahren gegen Fuerza Popular geworden. Soviel in wenigen Worten zum Hintergrund.

Ab Oktober 2015 wurden Untersuchungen wegen Scheinspenden („aportes fantasmas“) eingeleitet. Im September 2017 wurde der Fall der speziellen Kommission für Untersuchung von Geldwäsche übertragen. Ab Oktober 2017 ermittelte Staatsanwalt José Domingo Pérez wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung innerhalb von Fuerza Popular. Im Januar 2018 wurde Pérez angewiesen, das Verfahren einzustellen. Im Februar 2018 sagte Odebrechts ehemaliger Geschäftsführer in Peru, Jorge Barata, gegenüber Pérez bei einem in Brasilien geführten Verhör aus, dass zwei Chargen von jeweils 500 000 Dollar in bar an Fuerza Popular für die Wahlkampagne ausgezahlt wurden.

Im März 2018 ordnete Domingo Pérez in einer Paralleluntersuchung die Durchsuchung der Anwesen der Parteizentrale und der beiden Führer von FP Jaime Yoshiyama und Augusto Bedoya an, die zusammen mit Keiko als Drahtzieher innerhalb der kriminellen Vereinigung gelten. Im April 2018 wurde die Aufhebung des Verfahrens von Januar 2018 widerrufen, so dass das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche wieder aufgenommen werden konnte. Im September begann vor Gericht ein mehrere Wochen andauerndes Vorverfahren, in dem geklärt werden sollte, ob Untersuchungshaft gegen die FP-Führungsclique für die Zeit des anstehenden Hauptverfahrens verhängt werden solle.

Dann geschah, womit kaum jemand wirklich gerechnet hatte: Am denkwürdigen 01.11.2018 wurde Keiko Fujimori, die einstmals mächtigste Frau wie Person Perus, zu 36 Monaten Untersuchungshaft verurteilt und noch im Gerichtssaal verhaftet. Am Ende hatte Richter Concepción Carhuancho gegen 7 der 11 Untersuchten Schritt um Schritt Untersuchungshaft verordnet und gegen die restlichen vier Ausreiseverbote und die Meldepflicht ausgesprochen. Daraufhin legte die Verteidigung Keikos Widerspruch ein, der jedoch in erster Instanz abgewiesen wurde.

Ende des Jahres 2018 mussten die Staatsanwält*innen routinemäßig durch Generalstaatsanwalt Chávarry in ihren Aufgabebereichen bestätigt oder widerrufen werden. Im Laufe des Jahres war Chávarry in der öffentlichen Meinung immer mehr zur Inkarnation der Korruption geworden. Gleichzeitig erreichten die aufrechten Staatsanwälte Rafael Vela und José Domingo Pérez der Sonderkommission zur Untersuchung des Lava Jato-Komplexes und Richter Carhuancho geradezu Kultstatus.

Also schlug Chávarry in einer Nacht- und Nebelaktion in der Silvesternacht zu und zog die beiden verhassten Staatsanwälte, die ihn mittlerweile auch schon ins Visier genommen hatten, vom Fall „Cocteles“ ab. Der gewichtigste Grund hierfür dürfte die Unterzeichnung eines Übereinkommens zum Verhör von Odebrecht und dessen engster Mitarbeiter im Januar durch Carhuancho und Vela in Brasilien selbst gewesen sein. Odebrecht hatte sich als Kronzeuge inzwischen persönlich bereit erklärt, vor der peruanischen Justiz alle Karten offen zu legen. Dies sollte Chávarry im Interesse von FP und APRA unbedingt verhindern. Kurzzeitig gelang dies durch Chávarrys Coup auch.

Die Reaktionen erfolgten prompt. Noch in der Silvesternacht versammelten sich tausende Bürger*innen zu einer spontanen Demonstration. Wenige Tage später fanden landesweit Massenkundgebungen mit mehreren hunderttausend Menschen statt. Präsident Vizcarra brach seine Brasilienreise ab, um geeignete Maßnahmen zur Lösung der Krise zu ergreifen. Das Leitungsgremium der Staatsanwaltschaft (Junta de Fiscales Supremos) forderte Chávarry zum Rücktritt auf. Es folgte die Aussetzung seiner Mitgliedschaft in der Anwaltskammer auf vier Monate durch den Ethikausschuss. (Diese ist Bedingung für die Ausübung des Amtes.) Und nicht zuletzt ließ die Staatsanwaltschaft die Räume des engsten Mitarbeiters des Generalstaatsanwalts, Juan Manuel Duarte durchsuchen, der daraufhin zurücktrat. Im Auftrag Chávarrys brachen daraufhin einige enge Mitarbeiter*innen das versiegelte Büro auf und entwendeten belastendes Aktenmaterial, das noch nicht beschlagnahmt worden war.

Am 08.01.2019 war der Druck zu groß geworden und Chávarry trat zurück. Als Schachfigur war er auch für Fuerza Popular und die APRA kaum mehr zu gebrauchen und hatte viel Rückhalt verloren. Die Staatsanwälte Carhuancho und Vela wurden wieder in ihre Funktionen eingesetzt.

Doch Chávarry hat nicht aufgegeben. Er bleibt Oberstaatsanwalt und Mitglied des fünfköpfigen Leitungsgremiums der Staatsanwaltschaft und genießt daher Immunität. Er weiß zu viel, als dass man ihn ganz fallen lassen könnte. Gerade hat der „Ständige Ausschuss des Parlaments“ mit der Mehrheit von Fuerza Popular den Anklagepunkt „Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung“ abgewiesen, so dass diesbezügliche Untersuchungen nicht mehr stattfinden dürfen und im Archiv enden, sollte dem Widerspruch der Oppositionspartei Nuevo Peru nicht stattgegeben werden. Andere weniger gewichtige Anklagen wurden jedoch zugelassen. Anfang Januar ging Chávarry in die Offensive und zeigte Richter Carhuancho und Staatsanwalt Pérez wegen der Durchsuchung der Räume seiner Mitarbeiter an. Sein Argument: Seine Immunität erstrecke sich auch auf seine Mitarbeiter*innen und deren Büroräume.

Leider konnte auch der Fujimorismo einen großen Erfolg für sich verbuchen: In zweiter Instanz wurde einem Befangenheitsantrag der Verteidigung Yoshiyamas gegen Richter Richard Concepción (zur Erinnerung… derjenige der Keiko inhaftieren ließ) stattgegeben. Er ist nun von dem Fall „Cocteles“ bis auf weiteres abgezogen. Möglicherweise folgt bald die Freilassung der Untersuchungshäftlinge.

Trotz aller Behinderungsmanöver konnten Fujiaprismo und Chávarry nicht verhindern, dass es ab dem 15. Februar zur ursprünglich vorgesehenen Unterzeichnung des Abkommens mit Odebrecht kommen wird und danach umfassende Verhöre beginnen werden. Geführt werden sie durch Rafael Vela und Domingo Pérez, die nie aufgegeben haben. Sollten Odebrecht und seine engsten Mitarbeiter*innen wirklich umfassend auspacken, werden ab Mitte Februar viele ehemalige und noch amtierende Politiker*innen und Staatsbedienstete keine ruhige Nacht mehr erleben.

Fazit

Der Niedergang von Fuerza Popular ist nicht mehr aufzuhalten. Nach der Aufhebung der Amnestie ist Alberto Fujimori wieder im Gefängnis, Keiko Fujimori in Haft und der einstmals populärste Abgeordnete Kenji Fujimori hat sich nach den zahlreichen Polit- und Familiendramen aus der Politik zurückgezogen. Dennoch wird es noch eine ganze Weile dauern, bis der Fujimorismo bedeutungslos geworden ist. Die APRA, historisch älteste Partei Perus, ist schon am unwürdigen Ende angelangt. Alán García, ihr einstmals unumstrittener Caudillo, ist mit dem Versuch, am 18. November 2018 in der Botschaft Uruguays politisches Asyl zu erhalten, krachend gescheitert. Dank seines Einflusses blieb er bisher immer noch vor Anklageerhebungen wegen Lava Jato verschont. Dies wird sich nun ändern. Eine Ausreisesperre ist gegen ihn verhängt.

An der tief verwurzelten Korruptionspraxis wird sich nicht viel ändern. Dazu bedürfte es sehr grundlegender struktureller Veränderungen der Gesellschaft, die nicht in Sicht sind. Erst vor kurzem hat sich der Anwalt und Ombudsmann für Korruptionsbekämpfung von Callao, Engie Herrera, bei den Medien mit einem Hilferuf an die Justiz gemeldet. Die Mafia der „Weißen Kragen“ operiere weiterhin wie gehabt. 605 Verfahren gegen sie seien noch anhängig. Die großartigen Erfolge, die einige mutige und unbestechliche Richter*innen und Staatsanwält*innen, gemeinsam mit dem starken Rückhalt durch die Zivilgesellschaft bisher erzielt haben, sind nur wenige Mosaiksteine, aber immerhin recht große. Künftige Generalstaatsanwält*innen und oberste Richter*innen wissen nun, dass sie nicht unantastbar sind. Optimistisch stimmt auch, dass immer mehr Bürger*innen bereit sind, gegen Korruption auf die Straße zu gehen, in den sozialen Medien und anderen gesellschaftlichen Bereichen aktiv zu werden und auch im privaten Alltag diesem Übel mutiger zu begegnen.

Und solange es Frauen wie die 55jährige Susel Paredes, Anwältin und LGTBI-Aktivistin vom linken Bündnis Juntos por el Perú und Männer wie George Forsyth von Somos Perú, den neuen Bürgermeister des Distrikts La Victoria und populärer ehemaliger Torwart von Alianza Lima, gibt, werden die Korrupten nicht mehr so unbehelligt und straffrei agieren können. Zusammen haben beide der Korruption den radikalen Kampf angesagt. Der vorherige Bürgermeister Elías Cuba hatte in Komplizenschaft mit den fünfundzwanzig in La Victoria operierenden Mafiagruppen „seinen“ Distrikt ausgeplündert und finanziell auf Jahre hinaus ruiniert. Im Morgengrauen schlägt Susel Paredes, inzwischen Leiterin der Steuerbehörde von La Victoria, geschützt durch eine kugelsichere Weste, im berühmt-berüchtigten Markt Gamarra auf, um Präsenz zu zeigen, Lizenzen zu prüfen, Mahnungen auszusprechen und verdächtige Geschäfte zu dokumentieren. Begleitet wird sie von den Agenten der neu gegründeten Einheit GOT (Grupo de Operaciones Tácticas), der Polizist*innen, Anwält*innen, Yogaleherer*innen, Verwaltunsstudent*innen und nicht zuletzt Vertreter*innen der Gemeinde Shipibo-Conibo aus dem Viertel Cantagallo angehören.

Andreas Baumgart