Schutz vor Narkos und Terroristen oder Selbstverteidigung?

Dramatischer Aufruf aus dem zentralen Regenwald Perus

Der peruanische Regenwald ist Schauplatz vielfältiger legaler, halblegaler und illegaler Aktivitäten. Die Indigenas sind hier bei sowohl Täter als auch Opfer. Besonders dramatisch ist das Eindringen der organisierten Drogenhändler, oft im Verbund mit bewaffneten Gruppen. In einem 5-seitigen offenen Brief an den peruanischen Präsidenten Humala machen die indigenen Organisationen der Asháninka, Ashéninka, Yanesha, Nomatsiguenga, Kakinte und Ynes aus dem zentralen Regenwald auf ihre dramatische Situation aufmerksam. Dieser Brief  beklagt die nicht aufhörende Invasion durch Holzfällerunternehmen, Drogenmafia und Terrorismus in ihren Territorien. Die peruanische Politik, die Öffentlichkeit in Peru und im Ausland müsse den  Ernst der Lage erkennen.

Die Unterzeichner beklagen die Untätigkeit und somit indirekte Billigung dieser Zustände durch staatliche Funktionäre aller zuständigen Ministerien, Gerichte und Polizei.

Der Aufruf weist auf das Verhältnis der indigenen Völker zu ihrem TERRITORIUM hin. Ohne die „Mutter Erde“ gäbe es kein Leben für sie. Erinnert wird an die Politik des Ex-Präsidenten Alan Garcia, der 2009 durch Gesetze und Erlasse die Existenz der indigenen Bevölkerung gänzlich aufs Spiel setzte, nämlich durch den dramatischen Ausverkauf des Regenwaldes durch die massenhafte Vergabe von Konzessionen zur Ausbeutung von Erdöl, Holz, Erdgas und Agrotreibstoffen. Nur durch massive Proteste und Streiks im ganzen peruanischen Regenwald wurde dieser Prozess begrenzt.  Leider brachten die daraufhin eingerichteten Runden Tische zur Verhinderung weiterer Regenwaldzerstörung keine Lösungen. Auch die mit dem Ex-Premier Valdez am 24.2.2012 in der Provinzstadt Satipo erzielten Übereinkünfte nicht, 41 vereinbarte konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation im zentralen Regenwald wurden, wurden – nachdem ein neuer Premierminister ins Amt kam – nicht umgesetzt.

Es gibt auch keinen Fortschritt bei der vom peruanischen Parlament beschlossenen Vorab-Konsultation (consulta previa – ILO-Konzession 169);  die fehlende Ausstellung von offiziellen Landtiteln für die Dorfgemeinschaften ist weiterhin schleppend. Die Situation ist gravierend, weil die Invasion in das Land von Dorfgemeinschaften und Schutzgebieten inzwischen stark zunimmt.

Deshalb erklären die unterzeichnenden Organisationen,  dass darüber nachgedacht wird, die „Ovyeris“, die indigenen Krieger,  wieder zu aktivieren, als Selbstverteidigungs-Maßnahme.

 

 

Drogenmafia und Terrorismus

 

Die VertreterInnen der indigenen Organisationen beklagen weiterhin, dass die Übergriffe von Drogen-Terroristen (dabei handelt es sich zumeist um neustrukturierte Reste der Terrorgruppe  Sendero Luminoso ) im Jahre 2012 stark  zugenommen haben, was etliche Verletzte, Waisen und Tote gefordert hat. Das ruft wütende Erinnerungen an die schlimme Terrorzeit in den 80er- und 90er Jahren wach.

Bewaffnete Söldner dieser Drogenmafia  weiten den Anbau von Koka-Pflanzungen aus und zwingen in der letzten Zeit auch indigene Dorfgemeinschaften an den Flüssen Pichis, Ende und Tambo mit Waffengewalt und Todesdrohungen, dabei mit zu machen.

Auch hier ist die Geduld der Verantwortlichen der indigenen Organisationen erschöpft. Nicht von ungefähr weisen sie darauf hin, dass die Ovyeris, das „Asháninka-Heer“ mithalf, die Horden von SL im zentralen Regenwald zu besiegen.

Die heutige  „Drogenbekämpfung“ von Militär und Polizei wird als nicht effektiv kritisiert, u.a. auch deshalb, weil viel Korruption herrscht.

 

All dieses ist den politisch Verantwortlichen in diversen Gesprächen und bei Versammlungen immer wieder vorgetragen worden. Auf die mit dem Ex-Premier ausgehandelten Übereinkünfte wird hingewiesen: Da wurde vereinbart, dass es den indigenen Völkern gesetzlich  zusteht, für die eigene Sicherheit zu sorgen – wenn das Überleben gefährdet ist. Dieser Schritt wird nun angekündigt. Auf die damals geäußerte Meinung des Ex-Premiers und Militärs Valdéz, dass die Drogenmafia bessere Waffen habe, wird erwidert, dass die indigenen Krieger dagegen den Regenwald viel besser kennen.

 

Eine kämpferische Geschichte

 

Mit Stolz weisen die Autoren des Aufrufs auf die Geschichte des zentralen Regenwaldes hin, die geprägt  ist  von Aufständen und Widerstandsaktionen durch  indigene Gruppen und Kämpfer : So fand schon 1674 unter dem Häuptling Mangoré ein Aufstand gegen die  Missionsstationen in Pichana und Cerro de Sal statt, weil die Missionare die dort lebende Bevölkerung zur Zwangsarbeit verpflichtet hatten. Ähnliche Aufstände gab es 1724 und 1732. Der wichtigste fand unter der Führung von Juan Santos Atahualpa (1742-1747) statt. Hierbei wurden die Großgrundbesitzer („Hacendados“) im Tal von Chanchamayo und Huancabamba vertrieben. 1869 kamen Soldaten unter der Leitung von Coronel Pereya in den zentralen Regenwald und sie massakrierten Teile der indigenen Bevölkerung. Auch die europäischen Invasoren, die aus Deutschland und Österreich vor ca. 100 Jahren in den zentralen Regenwald kamen,  besonders in das Gebiet von Chanchamayo, Villa Rica und Oxapampa, kamen nicht friedlich,  sondern erhielten von der peruanischen Regierung moderne Waffen, um sich im fremden Gebiet an zu siedeln. Hiervon waren besonders die Yanesha betroffen. 1965 drangen Guerillakämpfer vom MIR (Linke Revolutionäre Bewegung) in den zentralen Regenwald ein. Das peruanische Militär bekämpfte sie mit Napalm, was besonders die indigene Bevölkerung traf.

 

Besonders gravierend waren dann  die 80- und 90er Jahre, als der „Leuchtende Pfad“  (Sendero Luminoso SL) und die MRTA brutal die Region zu beherrschen suchten. In der Aufarbeitung dieser schlimmsten Zeit  stellte die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission fest: Dieser interne Krieg forderte im Regenwald ca. 10.000 vertriebene Indigene, ca. 6.000 Tote und ca. 5.000 über  lange Zeit in „Wehrdörfern“ von SL  Gefangene.

Im Jahre 1989 fingen die Asháninka-Krieger an, aktiv gegen SL vor zu gehen, besonders im Gebiet des Tambo-Flusses.  Nur deshalb  konnten daraufhin die Terrorgruppen  zurückgedrängt werden.

 

An all dieses erinnern die VertreterInnen der indigenen Organisationen, auch im Blick auf die geschilderten heutigen gravierenden Probleme mit dem Drogen-Terrorismus:  die Landnahme und auch den Menschenhandel, d.h. Verschleppung von jungen Mädchen für die Prostitution der Drogen-Mafia-Angehörigen.

Ein tatenloses Zusehen sei nicht mehr tragbar,  und wenn die zuständigen Stellen nicht in absehbarer Zeit für die Sicherheit sorgen würden, kündigen die unterzeichnenden   indigenen Organisationen an: “Wir  nehmen unsere Verteidigung wieder selbst in die Hand!“

 

Unterzeichnet im November 2012 von

Asociación Regional de Pueblos Indígenas Selva Central (ARPI SC),

Apatyawaka Nampitzi Asháninka Rio Pichis (ANAP),

Organización Indígena Regional atalaya (OIRA),

Federación de Comunidades Nativas Bajo Perene (FECONABAP),

Central de Comunidades Nativas Selva Central (CECONSEC),

Uniión Asháninka Nomatsgiguenga del Valle de Pangoa (KANUJA),

Organización Asháninka Rio Apurimac (OARA)

 

Übersetzung und Zusammenfassung: Heinz Schulze

Den Brief im spanischen Original finden Sie hier  http://servindi.org/pdf/carta_presidente.pdf