Melissa Alfaro bei einem Interview

Melissa Alfaro – die Gerechtigkeit lässt auf sich warten

Die damals 23-jährige Melissa Alfaro wurde vor 29 Jahren von einer Briefbombe getötet. Bis heute warten ihre Angehörigen darauf, dass die Täter gefasst und bestraft werden.

Melissa Alfaro Méndez studierte Journalistik an der Fachhochschule Bausate y Meza in Lima und arbeitete zuerst als Volontärin und später als Leiterin der Informationsabteilung der Wochenzeitschrift „Cambio“, die in dieser Stadt erschien. Am Nachmittag des 10. Oktober 1991, als sie sich in ihrem Büro befand, öffnete sie ein als Päckchen getarnte Bombe, die an den Chefredakteur der Zeitschrift adressiert war. Der Sprengstoff explodierte beim Öffnen und tötete Melissa. Sie wurde 23 Jahre alt.

Wenige Tage nach dem Attentat reichte Carlos Arroyo, Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Cambio“, eine Strafanzeige bei der peruanischen Generalstaatsanwaltschaft (spanisch Fiscalía de la Nación) wegen des Verbrechens des schweren Totschlags von Melissa Alfaro Méndez ein. Auch Fernando Alfaro Venturo, Melissas Vater und damals Vizepräsident in der Regierung der Region Pucallpa, reichte eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft (spanisch Ministerio Público) ein. Diese Strafanzeige wurde an die 17. Provinz-Staatsanwaltschaft Limas (spanisch Fiscalía Provincial Penal de Lima) weitergeleitet.

Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei ergaben, dass es sich bei dem für die Bombe benutzten Sprengstoff um 200 Gramm ANFOs –einen gelatinösen Sprengstoff– handelte. Diese Sprengstoffart wird ausschließlich vom Militär benutzt und wurde schon am 15. März 1991 beim Attentat gegen Herrn Dr. Augusto Zúñiga eingesetzt. Herr Zúñiga war Rechtsberater des peruanischen gemeinnützigen Vereins Menschenrechtskommission (spanisch Comisión de Derechos Humanos – COMISEDH) und verlor bei diesem Attentat den rechten Arm. Drei Tage nach dem Tod Melissa Alfaros bekam Ricardo Letts Colmenares, zu diesem Zeitpunkt Abgeordneter im peruanischen Parlament, in seinem Abgeordnetenbüro eine ähnliche, als Päckchen getarnte Bombe, die deaktiviert werden konnte.

 

Amnestie für Militärs – Untersuchungen eingestellt

Die Untersuchungen rund um den Tod Melissa Alfaros wurden wie viele andere Fälle von Menschenrechtsverletzungen abgebrochen, nachdem am 5. Mai 1992 der damalige peruanische Präsident Alberto Fujimori einen Staatsstreich durchführte, das Parlament ohne Vorankündigung auflöste, die verfassungsmäßigen Rechte der Judikative suspendierte und ein neues Amnestiegesetz für Militärs und Polizisten, die wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt waren, verabschiedete.

1993 wurde eine Pressemitteilung des von Militärangehörigen gebildeten paramilitärischen Kommandos „Schlafender Löwe“ (spanisch León Dormido) in der Zeitschrift „SÍ“ veröffentlicht. Dieses Dokument beschuldigte den Armeeoffizier Víctor Penas Sandoval als einen der mutmaßlichen Täter und erwähnte außerdem die Namen anderer Militärangehörige vom höheren Rang.

Später, im Laufe der Untersuchungen der von der peruanischen Regierung eingesetzten Kommission für Wahrheit und Versöhnung (spanisch Comisión de la Verdad y Reconciliación – CVR), lieferte das Nationale Sicherheitsarchiv der USA (englisch National Security Archive) freigegebene geheime Dokumente, in denen darauf hingewiesen wurde, dass der ehemalige peruanische Präsident Alberto Fujimori und sein ehemaliger Berater Vladimiro Montesinos Torres über die Tötung von Journalisten mittels Briefbomben wussten und diese genehmigten. In diesen Dokumenten wird darauf verwiesen, dass das für die Vorbereitung und Zusendung der Briefbomben zuständige Personal von ausländischen Sonderkommandos im damaligen Ausbildungslager des Heeres der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, genannt United States Army School of the Americas, in Lateinamerika besser bekannt als Escuela de las Américas, ausgebildet wurde.

 

Hinweise auf Täter innerhalb der Armee

Im November 2004 wurden die schon vorhandenen Hinweise bekräftigt durch die veröffentlichten Enthüllungen im Buch „Tod im kleinen Pentagon“ (spanischer Titel: Muerte en el Pentagonito. Als Pentagonito bezeichnet man in Peru umgangssprachlich den Sitz des Hauptquartiers des Heeres in der Hauptstadt Lima) des peruanischen Journalisten Ricardo Uceda. Im Buch wird die Zeugenaussage von Jesús Sosa Saavedra erwähnt, einem ehemaligen Mitglied des von Militärangehörigen gebildeten paramilitärischen Kommandos „Colina“ (das Kommando „Colina“ war eine nachrichtendienstliche Abteilung für geheime, außerhalb von rechtstaatlichen Normen durchgeführte Sondereinsätze innerhalb der Direktion des Nachrichtendienstes des peruanischen Heeres). Die Aussage Sosa Saavedras verweist auf den Kapitän des peruanischen Heeres Víctor Penas Sandoval als Verantwortlichen für die Attentate. Dieser stellte die als Päckchen getarnten Bomben her und versendete sie.

Nach dieser Veröffentlichung unternahm Norma Méndez, die Mutter Melissas, einen neuen Versuch auf der Suche nach Gerechtigkeit und reichte eine Strafanzeige bei der Spezialisierten Staatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Menschenrechte (spanisch Fiscalía Especializada en Delitos contra los Derechos Humanos) ein.

Am 15. Oktober 2009 entschied die Spezialisierte Staatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Menschenrechte einen Strafantrag einzureichen gegen Alberto Fujimori, Vladimiro Montesinos Torres, Julio Rolando Salazar Monroe und Pedro Edilberto Villanueva Valdivia als  mittelbare Täter sowie gegen Víctor José Penas Sandoval als unmittelbaren Täter der Begehung des Verbrechens gegen Leben, Körper und Gesundheit – schwere Tötung – an den Personen von Ruth Melissa Alfaro Méndez und Víctor Hugo Ruíz León und für das Verbrechen des schweren versuchten Totschlags an den Personen von Alejandro Augusto Zúñiga Paz und Ricardo Letts Colmenares. Der ehemalige peruanische Präsident Alberto Fujimori wurde vom Prozess ausgeschlossen, weil zu diesem Zeitpunkt der gegen ihn gestellte Auslieferungsantrag noch nicht entschieden war. Fujimori hatte sich zuerst nach Japan und später nach Chile abgesetzt. Nach der Begnadigung Fujimoris im Jahr 2017 hat sich seine Rechtslage zum heutigen Tag geändert, sodass ein Antrag auf Einleitung einer Untersuchung gegen ihn gestellt wurde.

Aktuell befindet sich der Fall beim Nationalen Strafgerichtshof (spanisch Sala Penal Nacional). Der Gerichtssenat wird mit folgenden Richtern besetzt: Miluska Cano López, Omar Pimentel Calle und Otto Verapinto Márquez.

Am 23. November 2018 fand die Anhörung zur Anklageprüfung statt. Das Gericht legte den 18. Juli 2019 fest als Termin für den Beginn der Gerichtsverhandlung. Am 26. Juli 2018 hob die Gerichtskammer des Nationalen Strafgerichtshof ihre eigene Entscheidung auf und annullierte den Beginn der Gerichtsverhandlung. Als Grund dafür wurde die Zulassung zum Verfahren einer vom Angeklagten Julio Rolando Salazar Monroe vorgelegten Rechtssache angegeben. Die Verteidigung Salazar Monroes behauptete, dass es an Beweisen für eine Anklage gegen ihn mangelt. Der Antrag Salazar Monroes und seine Zulassung durch die Gerichtskammer ist sehr ungewöhnlich, da während der Anhörung zur Anklageerhebung am 23. November 2018 alle Zweifel hätten hervorgebracht und geklärt werden sollen.

Erst am 8. August 2019 beschloss die 2. Oberste Strafverfolgungsbehörde mittels Entscheid Nr. 87-18-2FSON-MP-FN, dass es keine Gründe für eine Aussetzung des Gerichtsverfahrens gibt und dass ein neuer Termin für den Beginn der Gerichtsverhandlung festgelegt werden soll. Dieser neue Termin wurde bis zum heutigen Tag nicht festgelegt.

Die Familie von Melissa Alfaro Méndez wartet immer noch auf Gerechtigkeit.

Yuri Lévano García