@ Hildegard Willer

Irrweg oder überflüssig? Streit um Ausbau der Wasserstraßen im Amazonasgebiet

Der peruanische Staat will die Flüsse Huallaga, Marañón, Amazonas und Ucayali ausbaggern und damit durchgängig schiffbar machen. Die indigene und örtliche Bevölkerung, ebenso wie Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen sind darüber sehr beunruhigt. Das Thema war auch an der Bonner Weltklimakonferenz im Juni präsent. 

Das Projekt gehört zu den länderübergreifenden Maßnahmen des Infrastrukturprojektes IIRSA. Es betrifft in Peru die Regionen Loreto und Ucayali und sieht vor, die Flüsse um 2,44 m und den Zugang zum Hafen von Iquitos um 3,35 m zu vertiefen, um sie für Schiffe mit großem Tiefgang schiffbar zu machen, und so Waren von Brasilien an die Pazifikküste zu befördern.

Insbesondere sind einige sog. „malos pasos“, besonders kritische Projektabschnitte wie Stromschnellen usw. definiert worden, an denen der Aushub besonders grundlegend eingreifen wird. Doch grundsätzlich sind die geplanten Ausbaggerungen und Fahrbahnvertiefungen, für die das Ministerium für Transport und Kommunikation (MTC Ministerio de Transporte y Comunicación) zuständig ist, als schwerwiegende Eingriffe in die Wasserwege und den damit verbundenen Wasserhaushalt der Region und überregional, in die Flora und Fauna Amazoniens und die Lebensweise seiner Bewohner*nnen zu sehen.

Inwiefern?

Dazu hat der Dachverband der indigenen Organisationen Amazoniens, AIDESEP, am 18.Juni  in Bonn im Gustav-Stresemann-Institut in Zusammenarbeit mit der Wildlife Conservation Society und INFOE e.V. zwei Informationsveranstaltungen durchgeführt und auf den SBSTA Meetings (Subsidiary Body for Scientific and Technical Advice der UN-Klimawandelkonferenz) im World Conference Centre, welche die UN-Klimaverhandlungen (COPs) vorbereiten, am 19. und 20. Juni Pressekonferenzen gehalten:

  • Die Auswirkungen des Aushubs auf weiten Strecken sind grundsätzlich noch nicht einmal abzusehen.

Die der Behörde für die Zertifizierung nachhaltiger Investitionen (SENACE, Servicio Nacional de Certificación Ambiental para las Inversiones Sostenibles) vorliegende Umweltverträglichkeitsstudie wurde überstürzt ohne Daten aus einem technischen Rahmenplan – den es noch nicht gibt – durchgeführt, und enthält keine langfristigen Beobachtungen des Fließverhaltens der Flüsse und Projektionen, wie sie für ein Projekt solchen Ausmaßes und mit einer möglichen Dauer von 20 oder gar 40 Jahren notwendig wären. Sie geht auf viele der besonderen naturräumlichen Bedingungen nicht ein und verwendet unkritisch Messgrößen und Standards zum Beispiel zur Berechnung der möglicherweise freigesetzten toxischen Sedimente aus dem Nachbarland Brasilien.

  • Amazoniens Wassersysteme, die Flüsse, Lagunen, zeitweise überfluteten Gebiete usw. sind eng miteinander verwoben und hängen voneinander ab, ebenso ist die Flora und Fauna der Wälder untrennbar mit den Flüssen verbunden. Die Flüsse transportieren z.B. auch Samen der Pflanzen. Die Menschen in Amazonien ernähren sich vom Fischfang und Produkten aus den Wäldern sowie Anbauflächen im Wald und an den Flussufern (chacras).

  • Wanderungsbewegungen (mijanos) der Fischpopulationen, wie auch die der diese jagenden Tiere, können durch die Arbeiten im Fluss empfindlich gestört werden.

Seichte Uferbereiche, zeitweilig überflutete Gebiete sind die Kinderstube vieler Fisch- und Tierarten, die sich wiederum von aus den Wäldern eingetragenen Materialien (z.B. Totholz, quiruma) ernähren. Wer hier eingreift und Uferzonen usw. zerstört, kann Schäden anrichten, die in ihren Dimensionen überhaupt noch nicht absehbar sind.

  • Amazoniens Wassersysteme sind ständig Veränderungen in der Laufbahn und Wassermenge unterworfen.

Aus Anlandungen entstehen Uferzonen und Inseln mit besonderer Flora und Fauna und Funktion. Zeitweise überschwemmte Flächen vernetzen verschiedene Biotope miteinander.

Ausbaggerungen verändern das Strömungsverhalten und ganze Inseln würden für das Streamlinen der Fahrrinne vernichtet. Wie Rusbel Casternoque vom Volk der Kukama in einem Interview erläutert, entstehen solche und wachsen solche Inseln auch durch die im Uferbereich siedelnden Tiere wie Süßwasserrochen und Boa. Wenn diese, gestört durch Ausbaggerungen, den Lärm, die Vernichtung der Inseln abwandern, wird den empfindlichen Ökosystemen noch auf eine weitere Weise buchstäblich der Grund entzogen.

  • Die Ernährungssicherheit der indigenen und lokalen Bevölkerung ist also in Gefahr.

Kölns Bürgermeister und Vorstand des Klima-Bündnisses Andreas Wolter, Thomas Brose, GF Klima-Bündnis, Richard Rubio, Vizepräsident AIDESEP, Mariana Montoya, Wildlife Conservation Society beim Event zum Thema Hidrovía am 18.06.2019 im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn. Foto: Isabel Martinez

Richard Rubio, Vize-Präsident AIDESEPs und von den Kichwa aus der Region Loreto und Mariana Montoya, Direktorin der WCS sowie Jorge Agurto von SERVINDI führten die Probleme, Gefahren, Sorgen und v.a. Unwägbarkeiten vor Augen. Mit ihnen saßen der Präsident des Klima-Bündnisses und Kölner Bürgermeister Andreas Wolter sowie Thomas Brose, der Geschäftsführer des Klima-Bündnisses auf dem Podium. Sie erklärten ihre Unterstützung für die Forderungen der indigenen Verbände. Die Stadt Köln ist 2017 eine vom Programm der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) geförderte Klimapartnerschaft mit der Stadt Yarinacocha am Ucayali eingegangen, der von den Wasserbaumaßnahmen im Rahmen des Hidrovía-Projektes betroffen wäre.

  • Die Veranstaltung wurde auch von Repräsentanten der COICA, des Dachverbands der indigenen Organisationen der 9 Amazonas-Anrainerstaaten sowie der Municipalidad Distrital de Yaquerana, Loreto besucht. In der Pause zwischen den Veranstaltungen im Gustav- Stresemann-Institut konnten Gespräche mit zwei Repräsentantinnen des peruanischen Umweltministeriums (MINAM) geführt werden, die der Delegation zu den SBSTA-Meetings  angehörten und die Abendveranstaltung besuchten. Peru hat im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen die Bedeutung des Waldklimaschutzes unterstrichen und ist in seinen nationalen Beiträgen (national determined contributions) im Rahmen der Klimaschutzkonvention Verpflichtungen zum Erhalt des Waldes und Reduzierung der CO2-Emissionen eingegangen, die das Hidrovía-Projekt äußerst negativ beeinflussen kann.

Weitere schwerwiegende Kritikpunkte an dem Großprojekt sind:

  • spirituelle Vorstellungen, Kosmovisionen der in Amazonien lebenden Völker werden völlig außer Acht gelassen, heilige Orte nicht respektiert.

Alles ist belebt, verschiedene Welten existieren nebeneinander und stehen in Verbindung. Die Tiefen der Gewässer sind z.B. die Bereiche, die Wohnstätte, der Vorfahren. Die Shipibo, die u.a. am Ucayali leben, erzählte die Shipibo-Künstlerin Miriam Soria Gonzales bei ihrem Besuch in Köln im Dezember 2017, gehen davon aus, dass die in den Tiefen der Gewässer lebende Boa alle Tiere mitnimmt, wenn das Gleichgewicht der Natur gestört ist.

  • 2015 wurde eine, in Peru gesetzlich vorgeschriebene, vorherige Konsultation der indigenen Gemeinschaften durchgeführt, bei der 70 Vereinbarungen getroffen wurden.

Darunter z.B. die Verbesserung der gesetzlichen Regulierungen betreffend den Schiffverkehr, einschließlich der Strafen bei Verstößen gegen die Umweltauflagen, zur Verbesserung der Sicherheit usw. – doch bis jetzt ist dahingehend nichts geschehen.

Wandmalerei in Radio Ucamara in Nauta/Loreto. Foto: Hildegard Willer

Von fundamentaler Bedeutung für die indigenen Gemeinschaften und die Gestaltung des Projektes wäre auch die vereinbarte Einbeziehung der Träger traditionellen Wissens, der sabios. Doch diese und die indigenen Verbände beklagen, dass sie lediglich schmückendes Beiwerk bei Versammlungen sind. Dass die Dokumente der Unternehmen ein alarmierendes Unwissen hinsichtlich der indigenen Kosmovisionen und des traditionellen Wissens und damit auch der natürlichen Gegebenheiten ausweisen.

Traditionelles Wissen soll jedoch aus gutem Grund und verbriefter Weise auf der Ebene der Maßnahmen des Weltklimaschutzes im Rahmen der Klimakonvention berücksichtigt werden, damit Projekte und Maßnahmen nicht an den örtlichen Gegebenheiten vorbei planen bzw. diese übersehen.

Die warnenden Stimmen der indigenen Gemeinschaften und RepräsentantInnen werden aber in den Wind geschlagen. Dabei

  • stimmen auch die ökonomischen Argumente für die Durchführung des Hidrovía-Projektes nicht:

Die Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2012 soll anführen, dass geplant ist, dass 15 % des Verkehrs über den Hidrovía dem Transport von Soja aus Brasilien dienen soll. Jedoch sagt die Studie auch aus, dass die Veränderung des Transportweges zum Hidrovía einen 50prozentingen Anstieg bei den Kosten bedeuten würde. Die großen Schiffe aus Brasilien benötigen eine Fahrrinnentiefe von 3,5 m, während der Hidrovía nur auf 2,4 m vertieft würde.

Nur wenige Arbeitsplätze würden aufgrund der Projektdurchführung entstehen: das von AIDESEP zur Verfügung gestellte Infoblatt nennt eine Zahl von 30 Stellen für örtliche Arbeitsplätze und 184 Arbeitsplätze für ausländische Fachkräfte im Rahmen der Projektausführung.

Mit dem Hidrovía sollen die Anrainerdörfer über bessere Verkehrsverbindungen mit schnelleren Booten verfügen. Schnellere Boote werden jedoch nicht überall anlegen, eher sind größere Distanzen zwischen den einzelnen Anlegeplätzen zu erwarten. Außerdem würden sich die Transportkosten und die Infrastrukturkosten (Anlegestellen) erhöhen. Die indigenen Verbände weisen in dem oben erwähnten Artikel von Servindi ausdrücklich darauf hin, dass es fehlerhaft ist anzunehmen, bei Amazonien handele es sich um einen nicht untereinander und mit der Außenwelt verbundenen Raum. Im Gegenteil, es handelt sich um einen entlegenen Raum, aber es hat immer Austauschbeziehungen gegeben.

  • Es wird befürchtet, dass sich die Korruptionsfälle und Skandale wie beim Bau der Interoceánica Sur wiederholen: übersteigerte Erwartungen und Projektionen bezüglich des outcoms des Projektes, Nachbesserungen, zusätzliche Kosten usw.

Die indigenen Verbände ersuchen die deutsche Regierung, die deutsche Öffentlichkeit sowie nationale und internationalen Menschenrechts- und Naturschutzorganisationen um Unterstützung ihrer Forderungen und alternativen Vorschläge:

  • eine sachliche nationale und internationale Debatte und Berücksichtigung der möglichen Schäden, Abwägung der Kosten und des Nutzens des Projektes auch auf Basis seriöser technischer Rahmenpläne, welche aufgrund der angeführten Gefahren zu dem Schluss kommen muss, dass das Projekt zu verwerfen ist;

  • Förderung und/oder Entwicklung alternativer Verbesserungsmaßnahmen für die Verkehrssituation auf den Flüssen Amazoniens: insbesondere erhöhte Verkehrssicherheit, verbesserte Häfen, Entwicklung geeigneter, an dem Raum angepasster Verkehrsmittel bzw. Verbesserung der vorhandenen Flotte, für die Bevölkerung bezahlbare Boote und Bootspassagen usw., jedoch kein Netz von Straßensystemen, das auch in fragile Bereiche eindringen würde;

  • Einberufung von Versammlungen der mehr als 400 direkt betroffenen comunidades, um eine echte Partizipation zu gewährleisten.

Am 22. Juni 2019 hat ORPIO, Mitgliedsverband von AIDESEP aus Loreto, nach einem Treffen mit dem peruanischen Transport- und Kommunikationsministerium (MTC) am 21. Juni erneut gefordert, dass die Nichtmachbarkeit des Projekts erklärt wird. Das MTC hatte zuvor ausgeführt, dass sich das peruanische Hidrovía-Projekt von dem auf brasilianischer Seite u.a. darin unterscheiden soll, dass erwogen wird, es für bereits auf den Flüssen verkehrende Schiffe durchzuführen. Dann wäre das Ausbaggern erst recht überflüssig.

Nun haben am 22. Juli 2019 mehr als 30 comunidades der Shipibo Conibo, mit ihren Verbänden FECONAU und COSHICOX zusammen mit dem Regionalverband ORAU und AIDESEP die Forderungen bekräftigt und sich mit ihren Forderungen auch konkret an die deutsche Regierung gewendet: Wenn sie es ernst meint mit dem Schutz der Reserva Nacional Pacaya Samiria, die im Projektgebiet dort liegt, wo Ucayali und Marañón ineinander fließen und der gemeinsamen Absichtserklärung mit Peru und Norwegen aus 2014 zum Waldklimaschutz und Stopp der Entwaldung, möge sie ihren Einfluss geltend machen.

Gleichermaßen soll die Regierung der Niederlande auf das niederländische Unternehmen Royal Haskoning einwirken, welches wohl mit dem chinesischen Konsortium Cohidro an dem Projekt beteiligt ist, nicht die technischen Grundlagen für die Zerstörung der Wassersysteme, Flora und Fauna und der indigenen Gemeinschaften zu liefern.

Elke Falley-Rothkopf

Quellen / weiterführende links, sofern nicht im Text gesondert aufgeführt: