Amazonas-Reporter: Mangelhafte Information über neue Wasserstraße

Nach vier Monaten ging am 28. September die Vorabkonsultation der 14 indigenen Völker zu Ende, die von dem Projekt der Amazonas-Wasserstrasse betroffen sind. Die Konsultation stand unter Federführung des peruanischen Verkehrsministeriums. Dennoch behaupten indigene Führer aus der Einflusszone des Projektes, dass ein grosser Teil der Bevölkerung noch sehr wenig über das Projekt wisse. Sie hoffen, dass eine zweite Konsultation folgen wird.

Die Amazonas-Wasserstrasse ist Teil der Initiative für die verkehrsmässige Erschliessung Südamerikas (IIRSA). Die Amazonas-Wasserstrasse soll 2600 Kilometer der Flüsse Huallaga, Maranón, Ucayali und Amazonas abdecken, indem sie Flüsse das ganze Jahr über schiffbar macht, und damit die Verkehrswege und den Handel ausbaut. Dazu müssen die nicht genügend tiefen Stellen ausgebaggert werden, so dass die Schiffe auch in der Trockenzeit fahren können.

Felix Vasi vom Schifffahrtsamt des Verkehrministeriums in Lima befürwortet das Projekt. Er erklärt, dass es sich bei der Wasserstrasse und eine öffentliche Dienstleistung handle, die den Zugang und die Verbindung unter den Dörfern verbessern wird. „Alle beteiligten Akteure werden davon profitieren“, sagt Vasi.

Das Dorfleben

Kevi Tamani Jaramillo ist ein Familienvater aus dem Dorf Miguel Grau, zwei Bootsstunden vom Distrikt Nauta in der Region Loreto entfernt. Wie die meisten seiner Nachbarn lebt er von der Landwirtschaft und vom Fischfang. Oft fährt er in seinem kleinen Holzboot auf den Fluss Maranón, um Fische zu fangen und sie nachher in Nauta zu verkaufen.

Marco Dourojeanni ist Agraringenieur, Gründer der Umwelt-NGO “ProNaturaleza” und ehemals Leiter der Umweltabteilung der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Er erklärt, dass durch das Ausbaggern das Wasser trüber wird, die Fische ihre Beute nicht mehr sehen können, deswegen abwandern und die Fischer weniger Fische fangen. Ausserdem würden durch das Ausbaggern die Sedimente am Boden aufgewirbelt und darin enthaltene Giftstoffe könnten die Wasserfauna schädigen. „Dennoch ist die Wasserstrasse die beste Verkehrsoption für das Amazonasgebiet“ sagt der Fachmann.

Heute kommt es bereits zu vielen Unfällen durch die heftigen Wellen, die die grossen Schiffe hinterlassen. In ihnen kippen kleine Boote um. Mit der ausgebaggertenWasserstrasse werden diese Unfälle noch zunehmen, und die Schifffahrt wird für die kleinen Boote noch gefährlicher.

Die Stimme des Schamanen

In Miguel Grau lebt auch Antonio Tamani Huaratapairo, der Schamane des Dorfes. Er heilt die Menschen, indem er die Wassergeister anruft. Das Volk der Kukama – das zur Familie der Tupi-Guarani gehört und in der Nauta-Gegend zahlreich vertreten ist – glaubt, dass ihre Toten am Grund des Flusses leben, in einer Welt, die derjenigen der Lebenden sehr ähnlich ist. Dort leben sie mit Tieren und den Geistern zusammen. Tamani Huaratapairo befürchtet, dass durch die Ausbaggerung und den Verkehr die Wassergeister vertrieben werden und er nicht mehr heilen kann. Davon wären alle toten Seelen unter Wasser betroffen.

Antonio, der Schamane des Dorfes

Aus all diesen Gründen hat der Verein der Kokama zur Entwicklung und dem Erhalt von San Pablo de Tipishca (ACODECOSPAT) bereits vor zwei Jahren vor dem Gericht von Loreto eine vorläufige Verfügung gegen die Durchführung des Projektes erwirkt.

Jetzt ist die Konsultation zu Ende, alle Dörfer konnten ihre Meinung abgeben, verschiedene Vereinbarungen wurden getroffen und das Projekt wird seinen Lauf nehmen. Das Verkehrsministerium sagt, dass voraussichtlich im Jahr 2018 mit dem Bau begonnen wird. Aber eine Frage bleibt: Wie stark waren die Dörfer in der Entscheidung über ihre Zukunft wirklich beteiligt?

Der schlechte Nachgeschmack der Konsultation

Mehrere indigene Vertreter, die am Dialog der Konsultation teilgenommen haben – der Etappe der Konsultation, in der der Staat und die Organisationen der indigenen Bevölkerung miteinander sprechen –,  sind gar nicht zufrieden.

“Der Staat hat die Konsultation durchgedrückt. Wir hatten im Vorfeld gebeten, dass sie genügend Zeit einplanen, um gute Entscheidungen zu treffen“, sagt Miller López vom Volk der Shawi und Berater des Verbands der Indigenen Gemeinschaften am Fluss Corrientes (FECONACO). Das, so López, sei nicht beachtet worden, und ausserdem sei ein grosser Teil der Bevölkerung aussen vor geblieben. „ Nur eine Minderheit kennt das Projekt. Der Staat stellt nur wenige Mittel zur Verfügung, um die Brüder und Schwestern zusammenzurufen, das ist das Problem“, sagt er.

Das Reglament der Vorabkonsultation sieht vor, dass die Etappe des Dialogs inerhalb einer Frist von 30 Tagen abgehalten werden muss. Vasi sagt, dass diese Etappe länger ging, denn der Dialog habe am 12. August begonnen und sei am 22. September beendet worden. Aber bereits zu Beginn der Konsultation, baten die indigenen Völker um mehr Informationsveranstaltungen. Deswegen fand der Dialog selber erst vom 18. bis 22. September statt, und dauerte gerade mal fünf Tage.

Obwohl die Konsultation beendet ist, sind noch viele Fragen offen. Es gibt wenig Informationen über die Auswirkungen des Projektes. Der Konsultationsprozess hatte als Grundlage das Projektperfil und die Machbarkeitsstudie, die nur sehr allgemein die wichtigsten Linien des Projektes auszeigen.

Vasi behauptet,dass die Wasserstrasse die Bedingungen vor allem für die grossen Schlepperboote verbessern würde, und damit könnten mehr Waren mit weniger Benzinverbrauch transportiert werden.

Wasserstrasse nutzt Dorfebewohnern nicht

“Das ist nur ein Projekt für die Reichen, denn kein indigenes Dorf hat ein Schlepperboot, nur kleine Ruder- und Motorboote. Für uns indigene Völker überwiegen die Nachteile. Wir haben auch nur eine kleine Anzahl von Waren zum Transportieren”, sagt Lisbet Mori, eine Frau vom Volk der Shipibo aus dem Dorf Curimbari, vom Flusslauf des Callería.

Warum also, bei all diesen Vorbehalten, haben die Dorfgemeinschaften die Vereinbarung mit dem Verkehrsministerium unterzeichnet ? Juan Carlos Ruiz ist Anwalt bei der Menschenrechtsorganisation IDL . Er hat die Kukama Gemeinschaften vertreten, als sie darum kämpften, dass überhaupt eine Konsultation abgehalten wird.  „Wenn sie dagegen gestimmt hätten, hätten sie sich isoliert. Die Konsultation ist so eingefädelt, dass wenn es zu keiner Einigung kommt, der Staat einfach entscheidet“, meint der Anwalt.

Cleydith Panaifo ist eine Kukama-Frau der Vereinigung für die Entwicklung und den Erhalt von Puinahua (ADECOP). Sie sagt, dass in ihrem Dorf die Leute für die Vereinbarungen mit dem Staat waren, weil der ihnen Nahrungsmittel- und Gesundheitsprogramm versprochen hätte. „Was hätten wir machen können ? Die Kinder brauchen das“, erklärt sie. Sie fügt hinzu, dass das Verkehrsministerium eine sektorübergreifende Arbeitsgruppe eingesetzt habe, in der die Fragen der Indigenen Völker, gelöst werden, die nicht in die Kompetenz des Ministeriums fallen. Fragen wie Bau von Wasserleitungen, Verschmutzung der Flüsse und andere. Die Dörfer müssen nun abwarten, ob diese Versprechen gehalten werden.

„Ich bin dafür, eine zweite Konsultation abzuhalten, dann wäre dieBevölkerung besser informiert”, sagt Francisco Hernández. Er ist vom Volk der Tikuna und gehört der Regionalen Organisation der Indigenen Völker des Oriente an (ORPIO). López, Panaifo und Mori finden das auch. Aber der Beamte aus dem Verkehrsministerium, Vasi, sagt, dass eine zweite Konsultation nur in Betracht gezogen würde, wenn die Umweltstudie Schäden aufzeigt, die vorher nicht bekannt waren. Die befragten indigenen Führer geben an, dass sie die unterzeichneten Vereinbarungen mit viel Skepsis sehen und nicht wissen, was sie davon erwarten können.

Juan Carlos Ruiz vom IDL findet auch, dass eine zweite Konsultation durchgeführt werden sollte: eine vor der Inangriffnahme der Umweltstudie, um die Terms of Reference festzulegen, und eine danach, um angesichts der Ergebnisse der Studie zu entscheiden. „Die jetzige Struktur der Projekte ist abartig, denn sie zwingt dich blind zu entscheiden, ohne die Umweltstudie zu kennen“, sagt der Anwalt.

Ruiz sieht dahinter das politische Problem: der Staat muss auf die Forderungen der indigenen Bevölkerung im Amazonas eingehen. Denn die Befürchtungen, die das Projekt weckt, sind verständlich. „Jahrzehntelang hat uns der Staat nicht beachtet, deswegen können wir ihm heute nur mit Misstrauen begegnen“, sagt López.


Rosa Laura Gerónimo

Der Artikel ist im Rahmen des Projektes „Junge Journalisten berichten aus dem Regenwald entstanden”. Das Projekt wurde von Comunicaciones Aliadas und Infostelle Peru e.V. durchgeführt und vom BMZ finanziert.